Sex, Korruption und Video

Der Föderationsrat votiert gegen die Entlassung von Generalstaatsanwalt Skuratow und damit auch gegen den Wunsch des russischen Präsidenten. Dessen Position ist weiter geschwächt  ■   Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Kabale und Liebe sind in Moskau schon länger Ersatz und Motor dessen, was sich öffentlich als Politik ausgibt. Großen Eindruck hinterlassen die Schlammschlachten aus Intrige und Korruption in der Öffentlichkeit nicht mehr. Der neueste Skandal zwischen Kreml und dem russischen Generalstaatsanwalt scheint indes von mächtigerem Kaliber zu sein. Am Mittwoch lehnte das Oberhaus des Parlaments den Wunsch Präsident Jelzins ab, Generalstaatsanwalt Juri Skuratow von seinen Aufgaben zu entbinden. Der 46jährige Chefankläger hatte Anfang Februar seinen Rücktritt eingereicht, und Kremlchef Jelzin sofort dem Gesuch entsprochen.

Sechs Wochen ließ sich Juri Skuratow nicht mehr blicken, bis er vorgestern gleich zwei Auftritte hatte: Mittags hielt er eine Verteidigungsrede vor dem Oberhaus, abends war er Hauptdarsteller in einem Video, aufgenommen aus der Schlüssellochperspektive. Dort wurde er umsorgt von zwei entzückenden Konkubinen, und keine davon war seine Ehefrau.

Vor dem Oberhaus bekannte der Bedrängte, er sei zum Rücktritt gezwungen worden. Nicht zuletzt hätte das Video als Druckmittel gedient. Daß der gefährliche Dämon und Finanzmagnat Boris Beresowski wieder die Finger mit im Spiel hatte, ließ Skuratow recht unmißverständlich durchblicken.

Doch warum wollte sich der Kreml des harmlosen wie erfolglosen Rechtsaufsehers entledigen? Angeblich hatte Skuratow nicht nur Beresowski auf dem Kien, sondern auch kompromittierendes Material (Kompromat) über ein nicht ganz legal erworbenes Anwesen der Jelzin-Tochter Tatjana Djatschenko. Überdies konnten die finanziellen Details der Anschaffung zweier Luxusyachten auf Staatskosten nicht geklärt werden. Zu guter Letzt herrschte auch mangelnde Transparenz in der Buchführung des Kremlstabes.

Hätte man anderes erwartet ? Gewöhnlich einigen sich in ähnlichen Fällen die Parteien auf einen Vergleich. Zumal Skuratow dem Kreml als ein höriger Palladin zur Verfügung stand. Es muß etwas passiert sein, was das Verhältnis zu Jelzin empfindlich störte. Das Kompromat brachte Skuratow erst nach der Entlassung ins Spiel.

Der Kreml hat sich indes verkalkuliert. Dort wog man sich in Sicherheit, der Föderationsrat werde Jelzins Empfehlung folgen. Statt dessen probten die Vertreter der Regionen erstmals den Aufstand. 142 der 148 Senatoren kündigten dem Kreml die Loyalität auf. Für den siechen Jelzin ist das eine weitere schwere Niederlage. Seit Tagen verdichtet sich der Verdacht, wonach Jelzin, wenn nicht Premier Primakow, so doch wichtige kommunistische Kabinettsmitglieder feuern wolle. Der linke Haken zwingt ihn in die Ecke. Sein Machtverfall ist nicht mehr zu bemänteln. Diese Erkenntnis wird auch Skuratow überzeugt haben, dem wunden Bären den Fehdehandschuh hinzuwerfen. „Er ist zu dem Schluß gelangt, Jelzin zählt nicht mehr zu den mächtigen Kräften, auf die man achten muß“, so ein Beobachter.

Selbstverständlich frohlockt auch die kommunistische Opposition, vor dessen Karren sich Skuratow womöglich hat spannen lassen. Denn er ist alles andere als ein couragierter Einzelkämpfer. Sie kündigte für den 15. April an, das Amtsenthebungsverfahren gegen Jelzin in der Duma anzugehen. Bis zum bitteren Ende ziehen die Kommunisten die Drohung nicht durch, indes scheint ein weiterer Konflikt zwischen Kreml und Opposition unausweichlich. Außer der Schwäche des Patriarchen beeinflußte auch das plumpe Video die Senatoren. Wohl recht lebhaft konnten sich die meisten Gebietsfürsten in die Haut des Staatsanwaltes hineinversetzen. Mit ihrer Stimme stützen sie einen Kollegen, der sie nun vor gleichem Schicksal bewahren muß.

Recht zufrieden mag auch der Premier sein. Fordert Jelzin erneut die Entlassung Skuratows, könnte Primakow einen seiner Leute als Kompromißkandidaten ins Gespräch bringen. Dann wären die unter Korruptionsverdacht stehenden Vizepremiers aus der Schußlinie.

Der Präsident büßte seine kolossale Macht ein, das Oberhaus demonstrierte seinen Willen zur Unabhängigkeit, die Duma konnte ihren Einfluß ausbauen, und die dritte Gewalt bot der Exekutive die Stirn. Wirkte der Fall Skuratow als Katalysator einer russischen Katharsis? Vor voreiligen Schlüssen sei gewarnt.

Im Video wurde Skuratow umsorgt von zwei entzückenden Konkubinen, und keine davon war seine Ehefrau