: Kandidatenkarussell um die EU-Kommisson
■ Bundesregierung will das Gremium schleunigst neu besetzen. Im Bundestag wird gestritten
Bonn/Brüssel/Madrid/Stockholm (dpa) – Die Bundesregierung dringt nach dem Rücktritt der EU- Kommission auf eine rasche Regelung der Nachfolge. Bundeskanzler Gerhard Schröder wollte sich wegen der „quasi neutralen Rolle“ der deutschen EU-Präsidentschaft allerdings nicht zu Namen äußern.
Obwohl der noch amtierende Vorsitzende Jacques Santer gestern angekündigt hatte, seinen Posten so schnell, wie möglich räumen zu wollen, sprach sich die spanische Regierung gegen eine rasche Ablösung der amtierenden Kommission aus. Außenminister Abel Matutes sagte gestern in Madrid, zuerst müsse das Reformpaket der Agenda 2000 in Kraft gesetzt werden. In Schweden brachte Ministerpräsident Göran Persson in einem Interview mit der Tageszeitung Dagens Nyheter den niederländischen Regierungschef Wim Kok ins Gespräch.
Am Mittwoch hatte Italiens Regierungschef Massimo D'Alema bei einem Treffen mit Schröder in Rom die Unterstützung für die Kandidatur seines Vorgängers Romano Prodi bekräftigt. Als Kandidaten in der Debatte sind auch der spanische Nato-Generalsekretär Javier Solana und der ehemalige Regierungschef Felipe Gonzales. Für die Berufung von Altbundeskanzler Helmut Kohl als Präsident einer Übergangs-Kommission plädierte der CDU-Europapolitiker Friedbert Pflüger in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung.
In der gestrigen, hitzig geführten, Bundestagsdebatte zur „Europapolitik und dem Reformpaket „Agenda 2000" warfen der Unionsvorsitzende Wolfgang Schäuble und der CSU-Vize Horst Seehofer der Bundesregierung versagen vor. Die „Agenda" werde die deutsche Landwirtschaft mit Einkommensverlusten von Zwei Milliarden Mark belasten.
Unionschef Wolfgang Schäuble bestritt Vorwürfe, die CSU sei für Aufschub der Reformen oder habe eine Verringerung der Nettozahlungen um 14 Milliarden Mark gefordert. Schäuble sagte auch: „Substanz geht vor Zeitplan.“ Auch hätten weder er noch der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber die „Meßlatte“ bei der Nettoentlastung auf 14 Milliarden Mark gelegt.
Obwohl die Debatte immer wieder in gegenseitige Beschuldigungen wegen angeblicher Lügen ausuferte, vertrat Schäuble bei der Neubesetzung der Kommission im Prinzip die Ansichten von Außenminister Joschka Fischer. Der hatte mit Hinweis auf „ein gravierendes Glaubwürdigkeitsproblem“ eine rasche Neubesetzung der EU-Komission angemahnt.
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