Schuld haben wieder die internationalen Medien

■ Die Folgen des zerstörerischen Hurrikan „Mitch“, der voriges Jahr Mittelamerika heimsuchte

5.000 Tote, 10.000 Verschwundene, eine Million Menschen ohne Obdach: Das ist die Schreckensbilanz, die Hurrikan „Mitch“ in den Ländern Mittelamerikas, besonders Honduras und Nicaragua, im vorigen Herbst angerichtet hat. Während der Wiederaufbau der Infrastruktur (Straßen, 200 zerstörte Brücken), der Wohnungsbau und die Reparatur von Umweltschäden mit sieben Millionen US-Dollar rege betrieben würden, herrsche im Tourismus schon heute „Normalität“, seien die Hotelanlagen wieder in Betrieb. Das referierte Ricardo Lagos Andino, Beauftragter des Mittelamerika- Parlaments für Europa, auf dem Forum „Reisen nach Mittelamerika“ der Thomas-Morus-Akademie während der Internationalen Tourismus-Börse in Berlin.

Auch Edgardo Contreras Schneider von der Tourimus-Koordinierungsstelle Mittelamerikas gab touristische Entwarnung: Trotz „Mitch“ seien 1998 mehr als 3,3 Millionen Besucher nach Guatemala, El Salvador, Nicaragua, Costa Rica und Panama gekommen – 13 Prozent mehr als 1997.

Also alles in Ordnung? Wohl kaum. Denn zur Zeit gibt es inoffizielle 30 Prozent Buchungsstornierungen. Das hätten erste Nachfragen bei Reiseveranstaltern ergeben, sagt Contreras Schneider. Schuld seien die internationalen Medien: Wie kann man nach Mittelamerika fahren, wenn das Gebiet quasi total zerstört ist?

Für die Landschaftsplanerin und Projekt-Gutachterin Birgit Steck ist es „fast normal“, daß in dem seismisch und vulkanisch aktiven Gebiet Naturkatastrophen auftreten. 70 größere Katastrophen allein zwischen 1960 und 1988, neben Erdbeben vor allem Vulkanausbrüche, Überflutungen, Erdrutsche. Das attraktive Potential (5.000 Kilometer Küste, Berge zuhauf, eine reichhaltige Flora und Fauna, das Maya-Erbe und die aktuelle Kultur) einerseits, die Armut der Menschen und der Raubbau an Ressourcen wie Entwaldung und Bodendegeneration andererseits sind die touristischen Faktoren Mittelamerikas.

Nur ein nachhaltiger Tourismus, so Gutachterin Steck, könne einen Beitrag zur Entwicklung der Region beitragen: Einkommen für möglichst viele im Tourismus, Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen sowie Schutz der natürlichen Ressourcen als Grundlage des Urlaubergeschäfts.

Für Andreas M. Gross von der Münchner Arbeitsgemeinschaft Lateinamerika ist die Grundbotschaft für Touristen in der Folge von „Mitch“: „Es ist gefährlich, in bestimmte Gebiete zur reisen.“ Doch Gross sieht durch „Mitch“ auch eine Chance, die Aufmerksamkeit der Medien beim Wiederaufbau auf die Besonderheiten der mittelamerikanischen Region zu lenken: „Hier wird ein wunderschönes Gebäude wiedererrichtet, von dem viele nicht wußten, daß es überhaupt existiert.“ Günter Ermlich