: Vertreibung nach Makedonien
In der Stadt Tetova sind bisher 3.800 Flüchtlinge aus dem Kosovo eingetroffen. Im ganzen Land sind es 15.000. Sie kommen bei albanischen Familien unter. Jenseits der Grenze wurden zahlreiche Dörfer zerstört ■ Aus Tetova Erich Rathfelder
Richie hat sich an der Hauswand niedergelassen. Einen Stuhl hat er aufgestellt, den rechteckigen Holzkasten vor sich aufgebaut, auf dem die Schuhe der Kunden plaziert werden. In dem Hohlraum des Kastens sind Schuhcreme, Bürsten und ein Tuch untergebracht, also all die Utensilien, die für einen Schuhputzer vonnöten sind.
Richie ist 18 Jahre alt und Rom. „Wir Zigeuner finden keine andere Arbeit“, sagt er und lächelt dabei. Er hat sich seinen Spitznamen selbst gegeben. „Der klingt besser als mein richtiger Name.“ Er spricht viele Sprachen, neben der Rom-Sprache auch Makedonisch und Albanisch, er versucht sogar, ein paar Brocken Deutsch anzuwenden. Vor einem Jahr hatte er sich nach Deutschland durchgeschlagen, wurde aber von der Polizei aufgegriffen und ausgewiesen. Er streicht sich durch das pechschwarze Haar und deutet auf seine dunkle Haut. „Illegal kann man in Deutschland nicht mehr leben, mich erkennt doch jeder als Ausländer.“ So kam er zurück, hierher, in diese makedonische Stadt, mit ihren 170.000 Einwohnern. Hier leben vornehmlich Albaner, 20 Prozent sind slawische Makedonier. „Der Rest sind wir, die Zigeuner.“
Von seinem Platz aus überblickt er das Zentrum von Tetova. Hier, auf diesem großen Platz, der von modernen Bauten umgeben ist, wurden in kommunistischer Zeit Massenveranstaltungen abgehalten. „Damals muß das Leben noch gut gewesen sein, jeder hatte Arbeit, auch wir Zigeuner. Jetzt will jedes Volk nur für sich selbst sorgen.“ Die Makedonier besetzten alle Jobs im Staatsapparat, „bei der Polizei und so“, die Albaner unterstützten sich nur untereinander. „Mit uns Zigeunern will fast niemand etwas zu tun haben.“
Bis auf Iljas. Der ist Albaner und ein Freund geworden. Iljas ist Parkplatzwächter. Trotz seines jugendlichen Alters fehlen ihm schon einige Schneidezähne. Wie er sie verloren hat, darüber will er nicht sprechen. Die Polizei, murmelt er. Richie und Iljas kennen fast alle Leute in der Stadt. Und beobachten genau, was passiert. Denn: „Von hier aus, da kannst du alles sehen.“
Und sie deuten auf die Mercedes-Geländewagen der Bundeswehr, die gerade an der Ampel halten müssen. Kaum einen Kilometer vom Zentrum entfernt haben sich die deutschen Nato-Truppen in den Kasernen der alten jugoslawischen Volksarmee niedergelassen. „Es ist gut, daß die Nato-Truppen hier sind“, sagt Iljas. Seit der Stationierung der Nato-Truppen fühlten sich die Menschen sicherer, vor allem die Albaner, die in den deutschen Truppen eine Garantie sähen, daß ihnen nichts geschieht. „Weißt du, im letzten Jahr, da dachten wir, auch in Makedonien würde es zum Krieg kommen.“ So wie im Kosovo. Die beiden jungen Männer zeigen auf die hohen Berge, die die Stadt umgeben. Von dort, aus dem Norden, von jenseits der kaum 15 Kilometer entfernten Grenze, seien jetzt viele Flüchtlinge gekommen. „Die Serben vertreiben alle.“ Die Neuankömmlinge seien an der Rotkreuzstation anzutreffen.
Die Gruppe von Flüchtlingen, die gerade aus der Tür der Rotkreuzstation kommen, blicken ernst drein. Der alte Mann ist gefaßt, die Frauen – Mutter und drei Töchter – sehen verschreckt aus, ihre Augen sind von Tränen gerötet. Sie seien aus dem Dorf Paldenica geflohen, sagen sie, einem Dorf von der anderen Seite der Grenze. „Serbische Polizisten haben auf unser Dorf geschossen, wir haben alles stehen und liegen lassen, dann sind wir über die Berge geflohen.“ Sie wollen nicht weiterreden. Sie seien dankbar, sagen sie noch, von einer albanischen Familie in Tetova aufgenommen worden zu sein. Und daß sie etwas humanitäre Hilfe erhalten.
In der Rotkreuzstation lagern einige Dutzend Menschen um die Tische, an denen Mitarbeiterinnen mit allerlei Papieren hantieren. Hier werden die Flüchtlinge registriert. Fünfzig Prozent der Flüchtlinge hätten keine Papiere, sagt eine der Frauen. Von einem Polizisten, der für diese Aufgabe abkommandiert ist, erhalten sie eine Art Fremdenpaß. Seit nach den letzten Wahlen im Herbst eine neue Regierung gebildet wurde, in der die Albanische Demokratische Partei (PDSH) Koalitionspartner der Makedonischen Nationalistenpartei VMRO ist, wurden einige albanische Polizisten in Tetova eingestellt. Auch der Polizeichef ist Albaner. So sind die Verfahren für die Aufnahme der albanischen Flüchtlinge erleichtert worden.
Qatip Besimi ist Leiter der Rotkreuzstation. Bis zum 19. März seien 3.826 Flüchtlinge aus dem Kosovo allein hier in der Stadt registriert worden, die seit dem 26. Februar eingetroffen sind. „Damals begann die Offensive der serbischen Sicherheitskräfte in der Grenzregion.“ Insgesamt seien seither wohl bis zu 15.000 Menschen nach Makedonien geflohen.
Man könne den Flüchtlingen nur etwas Mehl und Öl geben, den Kindern ein kleines Extrapaket, die Organisation erhalte nur Spenden aus der albanischen Bevölkerung, die ohnehin arm sei. „Aber die Hilfsbereitschaft ist groß“, sagt Besimi. So meldeten sich täglich Hausbesitzer, um Wohnraum für die Flüchtlinge anzubieten. „Bis jetzt haben wir alle Flüchtlinge unterbringen können“, sagt Besimi stolz.
Hilfe aus dem Ausland oder von internationalen Hilfsorganisationen habe man noch nicht erhalten. Hilfslieferungen einer Initiative aus Baden-Württemberg, die seit Jahren seine Organisation unterstütze, seien an der Grenze zurückgehalten worden. Die makedonischen Behörden zögerten auch jetzt noch, „Hilfe für die Albaner“ durchzulassen. „Ich fordere trotzdem alle Hilfsorganisationen auf, uns mit Lebensmitteln und anderer humanitärer Hilfe zu unterstützen“, bittet Qatip Besimi. (Tel.: [00389] 94303322).
„Wir Albaner müssen doch zusammenhalten“, sagt Bekim R., der eine Familie in seinem Haus aufgenommen und zwei Zimmer für sie freigeräumt hat. Es handelt sich dabei um die Familie Dernijani aus dem Dorf Jankovic. Mit Frau und zwei Kindern ist Merzan hier angekommen, das kleine Mädchen ist krank geworden.
„Ich arbeitete in der Fabrik unseres Ortes, als die Serben am 5. März angerückt sind“, sagt Merzan. Ein Kollege, ein Lkw-Fahrer, sei von ihnen geschlagen und mitgenommen worden. „Das waren Polizisten und einige Zivilisten, Kriminelle, ich kenne einen von ihnen, die aus den Gefängnissen entlassen wurden und jetzt als Paramilitärs dienen.“ Er habe Glück gehabt, konnte sich verstecken und nach Hause gehen. Er habe sofort seine Familie veranlaßt zu fliehen. „Wir sind dann zum Bahnhof und wollten den Zug nach Skopje nehmen, an der Grenze haben uns 30 Polizisten und Paramilitärs aufgehalten“, berichtet Merzan. Der Stationsvorsteher habe jedoch die gefährliche Situation erkannt und dem Zug freie Fahrt gegeben. So seien sie alle wohlbehalten angekommen.
Die Geschichten der Flüchtlinge geben ein Bild von dem serbischen Vorgehen in der Grenzregion. 200 bis 300 serbische Polizisten seien am Dienstag in das Dorf Strasa gekommen, berichtet der 40jährige M. Lika. Zuerst hätten sie Granaten auf das Dorf gefeuert. „Wir sind dann in die Berge geflohen. Wir konnten von oben sehen, wie sie vor den Häusern Benzin ausgeschüttet und Handgranaten in die Häuser geworfen haben.“ Insgesamt 23 Mitglieder seiner Familie sind in Tetova in drei Zimmern im Haus eines Bauarbeiters untergekommen. „Wir haben noch Glück gehabt“, sagt Lika.
Iwaje, Kotline, Gajre, Pustenik, Bicec, Kovacec, Wate, Soponice und Dubrave heißen die anderen Dörfer, die auf diese Weise seit Ende Februar von Albanern „gesäubert“ worden sind. Xhemil Bavazhi ist es gelungen, mit 60 Mitgliedern seiner Großfamilie aus dem Dorf Pustenik zu entkommen. Der ehemalige Professor für Orientalistik berichtet wie die anderen Flüchtlinge auch von den Granaten, die auf das Dorf geschossen wurden, von dem Benzin, den brennenden Häusern, den Spezialpolizisten und den Paramilitärs. „In unserem Dorf sind alle Häuser verbrannt worden. Auch eine UÇK-Einheit war dort, sie hat sich aber still verhalten, nicht zurückgeschossen, sie wollte die Flucht der Zivilisten nicht gefährden. Sie wissen ja, was in Racak geschehen ist.“ Die meisten der Flüchtlinge kamen trotz des Schneefalls über die Berge nach Makedonien. Manche versuchten es legal über die Grenzübergänge. Viele dieser Leute berichten, daß ihnen an den Grenzstationen über die übliche, 20 Mark betragende Grenzübertrittssteuer hinaus Geld abgenommen worden sei. Ein Mann spricht von 600 Mark für vier Personen.
„Das alles ist eine klassische ethnische Säuberung.“ Professor Fadil Sulejmani, Rektor der albanischen Universität von Tetova, möchte gar nicht daran denken, was an diesem Sonntag nach dem Abzug der OSZE-Beobachter im Kosovo vor sich geht. Er sitzt mit einem Freund und Kollegen im Zimmer des Rektorates, hört mit gesenktem Kopf die Nachrichten des albanischen Rundfunks: Die Berichte über Säuberungsaktionen in Dreniza, die Flucht der Menschen in Schnee und Kälte, die Information über das Verbot der kosovo-albanischen Tageszeitung Koha ditore. „Wahrscheinlich gehen sie jetzt gegen die Journalisten und die Intelligenzija von Priština vor“, vermutet er. „Jetzt kann nur die Nato helfen. Warum bombardieren die nicht, die Albaner haben doch den Friedensvertrag unterschrieben, Milošević nicht, die müssen doch zu ihrem Wort stehen.“ Professor Sulejmani versucht, seine Erregung zu zügeln. „Im letzten Herbst wurde der Elefant ,Nato-Luftschläge‘ schon einmal aufgebaut, dann wurde eine Maus geboren, die OSZE-Mission, die nichts ausrichten konnte und abrücken mußte.“
Auch Richie und sein Freund verfolgen die Nachrichten genau. Sie haben ein kleines Radio aufgetrieben. Wieder fahren Lastwagen der deutschen Bundeswehr vorbei. „Wenn die sich wenigstens die Schuhe putzen lassen würden“, witzelt Richie. „Wenn die Nato schon da ist, dann muß doch im Kosovo was unternommen werden“, hofft Iljas, der ernstgebliebene albanische Freund.
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