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Die weißen Männer von Srbica

■ Im zentralen Hochland des Kosovo vertreibt eine neue Offensive der serbischen Streitkräfte Tausende Albaner. Die Menschen irren zwischen den Dörfern umher und wissen nicht, wohin

Pritina (taz) – Samstag morgen. Die Kolonnen kreuzen sich. Während ein orangefarbener Konvoi von 400 Fahrzeugen der OSZE sich an diesem Samstag Richtung Süden über die Grenze nach Makedonien absetzt, macht sich ein graugrüner Konvoi von Militärfahrzeugen der jugoslawischen Armee in die entgegengesetzte Richtung auf. Sein Ziel ist die Drenica, das Hügelland im Zentrum des Kosovo, das weitgehend von den bewaffneten Männern der UÇK, der albanischen Guerilla, kontrolliert wird.

Wer geglaubt hatte, die OSZE-Beobachter würden Schwierigkeiten haben auszureisen, vielleicht gar als Geisel genommen, und müßten möglicherweise von den extra zu diesem Behuf in Makedonien stationierten Nato-Truppen der Extraction Force herausgeholt werden, sieht sich gründlich getäuscht. Es sieht ganz danach aus, daß es dem jugoslawischen Präsidenten Slobodan Miloevic gerade recht kommt, daß die internationalen Beobachter, die er ohnehin nie wollte, abziehen. Jedenfalls läuft zeitgleich, nur noch von einigen Journalisten beobachtet, die wohl größte Offensive der serbischen Streitkräfte seit dem vergangenen Sommer an.

Zehn Kilometer außerhalb von Pritina treffen wir auf die ersten Flüchtlinge. Sie warten am Straßenrand und wissen nicht, wohin. Die Polizei hat sie gehindert, in die Hauptstadt weiterzuziehen. Kurz danach läuft eine Gruppe von Frauen querfeldein auf die Landstraße zu. „Wir wurden von der UÇK aufgefordert abzuhauen“, berichtet eine Frau atemlos, „und da kamen auch schon die Soldaten.“ Seit zwei Stunden sei sie mit ihren beiden kleinen Mädchen unterwegs. Nun ist sie erschöpft. Ihr Mann ist geblieben, wegen der Tiere. Jemand muß sie ja füttern. Nun weiß sie nicht, wo er ist. Die Bilder wiederholen sich: Flüchtlinge zu Fuß, auf Pferdewagen, frierend, wartend, eilend, und weit hinten am Horizont Rauchsäulen.

Hinter Kosovska Mitrovica, einer Industriestadt, die ihr Wachstum den nahen Erz-, Zink- und Kupferminen zu verdanken hat, führt der Weg nach Westen in die Drenica hoch. Panzer, Militärjeeps und Mannschaftstransporter säumen die Straße. Und überall Soldaten, auf den Hügeln, in den Häusern, unter den Bäumen und hinter den Büschen. Dumpfe Einschläge von Granaten wechseln sich mit Salven aus Maschinengewehren ab.

Kurz vor Srbica, auf albanisch Skenderaj, vielleicht 30 Meter unterhalb der Straße, brennt ein Haus lichterloh. Doch es ist gefährlich hinzugehen. Nicht weit davon entfernt hat sich ein UÇK-Trupp verschanzt, und wenn der schießt, wird wohl zurückgeschossen. Dann stünden wir mitten im Kreuzfeuer. Nichts wie weg.

Hinter der Straßenkurve sind wir in Sicherheit. Da stellt sich ein Mann als Raif Bairamaj vor und erzählt, was ihm heute morgen widerfahren ist. Um sechs Uhr früh seien über dreihundert weiß gekleidete Männer mit schwarzen Masken in sein Haus gekommen und hätten seine Mutter, seine Frau und seine sechs Kinder vertrieben. Er selbst habe sich rechtzeitig retten können.

Das Haus steht 200 Meter entfernt. Doch der Mann traut sich nicht zurück. Weiter oben versperren Soldaten die Straße, die nach Prekaz führt. Über dem nahen Dorf, einer Hochburg der Guerilla, bislang jedenfalls, hängen dicke Rauchwolken. Granatendonner schallt herüber.

Das Zentrum von Srbica, das vor zwei Tagen noch voll von Flüchtlingen war, ist leer. Nur Männer in weißen Overalls mit schwarzen Strumpfmasken lungern herum. Einer liegt in Siegespose auf der Kühlerhaube eines Mercedes, hält das Gewehr in den Himmel und läßt sich über den Platz kutschieren. Sind es Soldaten, die sich wegen des Schnees zur Tarnung weiß gekleidet haben? Sind es zivile bewaffnete Serben? Sind es gar die paramilitärischen Verbände des gefürchteten „Arkan“? Auf Fragen geben sie keine Antwort, sie machen nur eine aggressive Geste, die so viel bedeutet wie: Haut bloß ab hier. Das tun wir denn auch.

Kein Zweifel. Die Drenica ist weiträumig umzingelt. Das Militäraufgebot ist riesig. Und über zahlreichen Dörfern stehen Rauchsäulen. Tausende von Menschen sind auf der Flucht. Sie irren zwischen den Dörfern umher, und wissen nicht, wo es Sicherheit gibt. Thomas Schmid

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