: Frischer Fisch und neue Chips für den Norden
■ Im nächsten Jahr wird in Schleswig-Holstein gewählt. Der Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) will Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) vom Stuhl holen
Pahlen (taz) – Es sei dieser Tage „zugig“ im Kieler Landeshaus, bemerkt der Redner abschätzig. Erst der Rücktritt von Lafontaine, dann von der Europäischen Kommission. Und immer hätten die Fenster im Regierungssitz der schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin sperrangelweit aufgestanden. „Und wissen Sie warum?“ Seine Stimme dröhnt. „Weil Heide Simonis nur ja keinen Ruf aus Bonn oder Brüssel überhören wollte!“ Das 400köpfige Publikum klatscht, johlt.
Lange nicht mehr sind die Delegierten der CDU in Schleswig-Holstein so gut unterhalten worden wie von dem 56jährigen auf der Bühne, der sich am Samstag auf dem Parteitag in Pahlen in seiner ersten großen Rede vor der Partei als der Mann präsentierte, der am 27. Februar 2000 bei der Landtagswahl in Kiel den Regierungswechsel herbeiführen will: Volker Rühe. Englischlehrer aus Hamburg, Verteidigungsminister unter Kohl, heute Bundestagsabgeordneter und stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU. Die Jahre auf Bonner und internationalem Parkett haben ihm rhetorisch nicht geschadet. Die CDU-Delegierten, die über Feld-, Wald- und Wiesenwege in die girlandengeschmückte Eiderlandhalle gefahren gekommen sind, spüren es: Wenn überhaupt einer gegen die spitzzüngige und regierungserfahrene Amtsinhaberin Simonis punkten kann, dann Rühe.
Lange Oppositionsjahre haben sie auf einen wie ihn gewartet. Nun zwingen sie ihn in die Rolle des Retters vor einer Fortsetzung der rot-grünen Koalition: „Schleswig-Holstein blühe, aber nur mit Volker Rühe!“ schallt es im Saal, als Rühe eine Redepause einlegt. Der aber will nur als Sieger in den Norden kommen. Für den Fall seines Mißerfolgs hat er sich ausbedungen, sein Bundestagsmandat zu behalten. Was ihn nicht hindert, Simonis im Gegenzug ihr heimliches Schielen nach einem Karrieresprung in die internationalere Polit-Szene zum Vorwurf zu machen. Rühe betont, er sage zumindest „ehrlich, was ich will“. Eine Koalition mit der FDP zum Beispiel. Schließlich „sind wir in einer hervorragenden strategischen Situation“.
Die rot-grüne Regierung kriselt zwischen gerichtlich untersagten Immobiliendeals und Landesabfallabgaben vor sich hin. Die Grünen sind so zerstritten, daß sie um den Wiedereinzug in den Landtag bangen. Die FDP in Schleswig- Holstein dagegen gilt als sicherer Kandidat. Seit 1946 war sie in fast allen Landtagen vertreten. 1996 brachte sie es auf 5,7 Prozent. Ihr Fraktionschef Wolfgang Kubicki hat den Christdemokraten bereits die Hand hingehalten – Rühe schlug am Samstag ein. Und erteilte so der Option auf eine Große Koalition die Absage: „Die SPD hat null Chancen. Ohne die Grünen sowieso, aber auch mit ihnen, denn die Grünen sind ein Partner, mit dem man sich nicht sehen lassen kann.“ Diese Aussicht versetzt die Delegierten in Hochstimmung.
Als sich ein Vogel in die Eiderlandhalle verirrt, gibt der Moderator unter Lachsalven bekannt: „Es handelt sich um einen schwarzen Vogel, nicht um ein Rotkehlchen.“ Was er neben Siegen inhaltlich mit der CDU vorhat, will Rühe bei seiner offiziellen Kür zum Spitzenkandidaten im Mai bekanntgeben. Jetzt beschränkt er sich aufs Notwendigste. Das ländliche Schleswig-Holstein solle „zum Asylland für wagemutige Unternehmer“ werden und künftig „nach skandinavischem Vorbild“ stärker mit den Nachbarländern Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg zusammenarbeiten, um trotz der „Verschiebung von Europa nach Osten“ mithalten zu können.
„Werben am Watt“ nennt Rühe das. Große Verkehrs- und Infrastrukturprojekte will er fördern und auch, bei aller „Verbundenheit zur Heimat“, die Ansiedlung von High-Tech-Unternehmen. „Lederhose und Laptop“, das Motto des bayerischen Landesfürsten Stoiber hat Rühe so gut gefallen, daß er es hurtig ins Norddeutsche übersetzt hat: „Fisch und Chips.“ Heike Haarhoff
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