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Die Jagd nach Umzüglern ist schon eröffnet

Lockruf des Goldes: Mit den Regierungsumzüglern steht Berliner Banken ein wahrer Geldsegen ins Haus. Also umgarnen sie neue Kontoinhaber mit nötigem Basiswissen für Neuberliner oder notfalls mit der Vermittlung einer japanischsprechenden Babysitterin  ■ Von Kirsten Küppers

Wenn die Bonner kommen, kommen sie nicht nur mit ihrer Gartenschere und der Wehmutsflasche Kölsch im Gepäck. Sie bringen auch ihr Geld nach Berlin. Das freut nicht nur Stadtplanfabrikanten, sondern vor allem die in der Hauptstadt ansässigen Banken. Die wittern, berechtigterweise, Goldgräberlunte: Nicht nur, daß mit dem Regierungsumzug Tausende Neuberliner ein Konto eröffnen. Die neuen Kunden sind auch sehr viel finanzkräftiger als Otto Normalberliner. Bei dessen durchschnittlichem Haushaltsnettoeinkommen von 2.800 Mark gerät kein Filialleiter in ehrliches Schwärmen.

Ganz anders bei den wohlhabenderen Umzüglern. „Die haben sichere und höhere Einkommen. Wir gehen von durchschnittlichen Gehältern von etwa 5.000 bis 6.000 Mark netto aus. Das ist ein Riesenthema für uns“, verrät eine Mitarbeiterin der Bayrischen Vereinsbank in Berlin. Das Hauen und Stechen um die neuen Klienten hat längst begonnen. Erste am Start war die Commerzbank. Sie eröffnete bereits 1996 in der Potsdamer Straße einen „International Counter“.

Dort will sie vornehmlich Diplomaten und Beschäftige internationaler Unternehmen gewinnen. Damit dieses gutsituierte Publikum Berlin und besonders die Commerzbank lieben lernt, bietet ein neunköpfiges Team hier sehr viel mehr an als nur Anlage-, Immobilien- und Kontoberatung: Vom griechischen Handwerker bis zur japanischsprechenden Babysitterin werden sämtliche Dienstleistungen an die internationalen Kunden vermittelt.

„Wir stellen auf Wunsch sogar den Kontakt zu einem Strickklub, Reitverein oder Klavierlehrer her“, verspricht Ilka Hartmann, Leiterin des International Counters. Diesen Service bietet die Deutsche Bank nicht. Sie legt dafür in ihren Bonner Filialen eine Broschüre aus. Das baedekerähnliche Service-Heft („Berlin hat mehr Brücken als Venedig“) liefert den Zuzüglern Basiswissen über die einzelnen Stadtbezirke (Zehlendorf: „viele, schöne Villen“, Wedding: „sehr gut an das Verkehrsnetz angebunden“), Shopping und Freizeittips (Golf- und Country Club Wannsee).

Um den Gewohnheitstieren des Typs „Einmal bei der Deutschen Bank, immer bei der Deutschen Bank“ beizukommen, holen die regionalen Banken ihre Neukunden da ab, wo sie noch stehen. Nämlich entweder am Flughafen Tegel – hier hat die Berliner Bank für eilige Kontoeröffner ein Infocenter aufgebaut – oder direkt in Bonn. Dort blecken dem umworbenen Rheinländer schon beim Frühstück die Anzeigen der Berliner Bank im Bonner General-Anzeiger ins Gesicht. Überdies halten die Berliner Bank und die LandesBank Berlin (LBB) in den Bonner Räumlichkeiten der Berliner Landesvertretung regelmäßig gutbesuchte Berlin-Vorträge.

Fragen wie „Wo kann ich wohnen?“ werden dort genauso beantwortet, wie: Kann ich als Frau nachts allein in Berlin U-Bahn fahren? Zu den üblichen Vorbehalten der Neuberliner gegenüber der Hauptstadt erklärt Ingo Peetz, Projektleiter Bonn-Berlin von der Berliner Bank: „Die Lage wird in den Medien prekärer dargestellt, als sie ist. Die Ängste sind größer, als es der Realität entspricht.“ Auch Manuela Damianakis kann davon ein Lied singen. Die Leiterin des speziell für die Werbung von Umzüglern vor zwei Jahren eingerichteten Hauptstadtbüros der LBB muß bei ihren Besuchen bei Parteien und Verbänden immer wieder erklären, daß in Neukölln nicht von morgens früh bis abends spät scharf geschossen wird, bloß weil mit einem Spiegel- Redakteur mal die Phantasie durchgegangen ist.

Dem Dauerbrennerthema Berliner Schulen begegnet die LBB mit einer Schulberaterin, eigens dafür abgestellt, nervösen Eltern die Angst vor den Berliner sechs Grundschulklassen zu nehmen. Angesichts des mit den Bonnern hereinprasselnden Geldsegens lohnt sich der millionenteure Aufwand für die Banken – selbst wenn es noch zu früh ist, über neu geworbene Kundenzahlen zu spekulieren.

Manuela Damianakis rechnet über einen längeren Zeitraum mit 35.000 Umzüglern – deren Familienangehörige noch nicht mitgerechnet. Auch wenn die LBB sich vor allem auf die Werbung von Privatkunden („das Fußvolk“) konzentriert, bedeutet das für die Berliner Sparkassen noch immer ein Riesenstück vom künftigen Gewinnerkuchen.

So pariert auch die LBB gut gelaunt die Befürchtungen der Neuankömmlinge mit einem Berlin- Führer. Darin wird nach Art von „Brehms Tierleben“ Überlebenshilfe für den Großstadtdschungel geliefert. Auf Fragen wie „Kann man sich in Altbauten auch wohl fühlen?“ werden geduldig Flügeltüren und Parkett ins Feld geführt. Die in den alten Behausungen wohnenden Berliner seien trotz Unfreundlichkeit und Ruppigkeit „im Grunde herzensguter Natur“. Schließlich stehe für den Berliner sein bäriges Wappentier: „Zuweilen brummig und trampelhaft, an und für sich aber ein recht verträglicher Zeitgenosse.“

Als einzukalkulierendes Risiko für jeden Fremden gilt inzwischen jedoch der Skinhead-Überfall bei der nächtlichen S-Bahn-Fahrt im Umland. Der Tip: „Für alle Fälle sollte eine Frau abends in den ersten Wagen einsteigen.“

[Besser wär', wenn Männer grundsätzlich nur die letzten Wagen benutzen dürften! d.Sin ]

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