: Your generation, Baby
■ 68er, 78er, 89er und Berliner Generation: Als Stichworte dienen sie dazu, Haltungen Eindeutigkeit zu verleihen, sie auf- oder abzuwerten
Wenn's um Streit geht, ist die nächste Generation nicht weit. Unlängst erst bekam die Debatte über das Berliner Holocaust-Mahnmal ihren Generationsbeitrag: „Unsere Generation will sich weder als Schulklasse herumführen und belehren lassen, noch will sie folgenlos durch das Internet zappen und Völkermorde beobachten“, verkündeten kürzlich drei junge Männer in der taz. Auch die Walser-Debatte ist zur Generationsfrage erklärt worden: Micha Brumlik betrachtete sich die Protagonisten der Diskussion und kam zu dem Schluß, daß es sich dabei um den „Schwanengesang“ der Flakhelfergeneration handeln müsse.
In beiden Fällen dient das Stichwort der Generation dazu, Haltungen Eindeutigkeit zu verleihen: Ebenso, wie die Zugehörigkeit zu einer „postmodernen“ Generation eine bereits oft gehörte Meinung zum Holocaust-Mahnmal aufwertet, werden die Beiträge zur Walser-Debatte durch die Zugehörigkeit zu einer gealterten Generation abgewertet.
Als provokant genutztes Etikett, als Differenz produzierende Debattenvokabel und als multifunktionale Selbstverständigungskategorie hat die „Generation“ in den neunziger Jahren eine beachtliche Karriere gemacht. Verallgemeinerungen, im intellektuellen Dickicht ebenso notwendig wie geschmäht, werden möglich. Damit Trends und Tendenzen nicht so zeitgeistig riechen, wird ihnen mit einer flink getauften Generation das ausführende Personal zur Seite gestellt. Um etwa das ideologische Trauma der deutsch-deutschen Wende zu verarbeiten, wurden 1994 die „89er“ erfunden. Kurz vor der Wahl im vergangenen Jahr hob der Soziologe Heinz Bude die „Generation Berlin“ aus der Taufe, um die Gruppe der rund Vierzigjährigen zu bezeichnen, die statt der 68er Generation „die notwendige Definition einer Berliner Republik vorzunehmen“ in der Lage sein sollten.
Um die Nachfolge der 68er konkurriert mit „Berlin“ und den „89ern“ allerdings bereits eine andere Generation: die 78er. Es war der Frankfurter Publizist Reinhard Mohr, der 1992 für die 1950er Jahrgänge, die auf ewig im Schatten der 68er Heroen zu verkümmern drohten, den Begriff „78er Generation“ erfand. Es dauerte dann jedoch einige Jahre, bis sich jemand öffentlich als 78er bekannte.
Der Schriftsteller Matthias Politycki, Jahrgang 1955, übernimmt Mohrs Begriff im Sommer 1997, um in einem Manifest in der Woche erstens die Existenz der 78er und zweitens ihre Ansprüche auf kulturelle und politische Geltung zu proklamieren: als „Missing link zwischen 68ern und 89ern“. In seiner Ästhetik-Vorlesung „Kalbfleisch mit Reis“ baut Politycki seinen Appell aus. „Die Durchsetzung der Postmoderne war, die Durchsetzung der Postmoderne ist die Sache der 78er.“
Was unter „Postmoderne“ zu verstehen sei, läßt Politycki dabei ausdrücklich offen. Der Begriff dient ihm als Vehikel, den 78ern, von Mohr der „larmoyanten Mittelmäßigkeit“ geziehen, zu einem markanten Profil zu verhelfen: Unter dem Wimpel der Postmoderne verpaßt Politycki seinen Altersgenossen sowohl eine „literarische Ästhetik“ wie eine „gesellschaftliche Aufgabe“. Damit klinkt er den Begriff der 78er Generation in verschiedene Debatten ein: in die fortlaufende Diskussion über Qualität und Erfolg der jüngeren deutschsprachigen Literatur, aber auch in die Diskussion über eine Neubestimmung der gesellschaftlichen Rolle der Intellektuellen.
Die Enddreißiger bis Mittvierziger sind demnach erstens gehalten, den nach wie vor etwas matten – von den 68ern ruinierten – Ruf der jüngeren deutschsprachigen Literatur aufzupolieren. Zweitens sollen sie sich stärker für politische Belange aus dem Fenster lehnen, statt – wie die 89er – sich dem computergesteuerten „Privathedonismus“ hinzugeben.
Mit seiner Proklamation der 78er Generation stößt Politycki bei den Gemeinten jedoch auf wenig Gegenliebe. „Es gibt nichts Vertrottelteres als den artifiziellen Begriff der Achtundsiebziger, der für uns geprägt wurde“, giftet der Romancier Robert Menasse. Zu schnell sei Polityckis Schluß von höchstpersönlicher Besonderheit auf das ganze Allgemeine, meint die Schriftstellerin Dagmar Leupold im Dezember 1997 in der Schweizer Weltwoche.
So vage die Definitionen der Generationen daherkommen, so vielseitig erscheint der Generationsbegriff jedoch, wenn er auf seine Einsatzmöglichkeiten hin untersucht wird. Der Individualisierung von Lebensläufen setzt das Wir des Generationsbegriffs die geteilte Erfahrung von Jahrgangsgruppen entgegen. Dem diffusen Epochengefühl einer „Postmoderne“ hilft der Generationenbegriff mit der Behauptung von Zeitgenossenschaft auf die Sprünge.
Die Abgrenzung von der 68er Generation ist es dabei, die den immer neuen Generationentaufen den nötigen Schwung verleiht. Darin sind sie ein recht deutsches Phänomen: Nirgendwo sonst als in der West-Bundesrepublik wurde zeitgleich zur 68er Revolte ein vergleichbarer Modernisierungsschub in Gang gesetzt, der es den 68 Dabeigewesenen ermöglichte, sich so dauerhaft und definitionsmächtig auf den besten Sitzen des Wohlfahrtsstaats einzurichten. Was Wunder also, wenn aktuelle Debatten regelmäßig zu Generationskonflikten mutieren, in denen die Nach-68er den Repräsentanten der als „alt“ apostrophierten Bundesrepublik ihre Posten streitig zu machen suchen.
Die etwas phobische Behauptung, daß die 68er schuld an sämtlichen bundesrepublikanischen Sünden seien, ist Produkt eines Generationskonzepts, das sich seinerseits in einen deutschen wissenschaftlichen Diskurs des 19. und 20. Jahrhunderts einbetten läßt. Karl Mannheim hat 1928 in seiner Wisssenssoziologie als erster die „Spuren“ des „Problems der Generationen“ zurückverfolgt: Die Gleichzeitigkeit des Erlebens wird nach Mannheim durch den romantischen Generationenbegriff in ein „Identisch-Bestimmtsein“ umgeformt. Die Identität auszudrücken und ihr etwa im Rahmen eines Generationskonflikts Raum zu verschaffen, wird dabei zum Projekt bestimmter Kerngruppen von „Generationseinheiten“, vorzugsweise der Intellektuellen bzw. der Literaten unter ihnen. Als relativ sozial „frei schwebend“, also wenig klassengebunden, seien die Literaten in der Lage, einen kulturellen „Generationsstil“ zu finden, der sich von dem der vorhergegangenen Generation unterscheide.
Politycki befindet sich mit seinem Versuch, für die zahlenmäßig überaus starken, kulturell jedoch bislang nicht besonders auffälligen 1950er und frühen 1960er Jahrgänge einen Generationsstil zu finden, also in bester Gesellschaft. Nichts anderes als den Mannheimschen qualitativ-romantischen Zugriff auf die „Generation“ übt er, wenn er erklärt: „Das Leben ist zur kurz und die Kunst zu lang, um ohne Schubladen auszukommen.“ Und wenn er deshalb bewußt die Schublade der Generation benutze, so seien Zweifler darauf verwiesen, daß damit „immer die Idee derselben, nicht ihre konkrete Erscheinung“ gemeint sei.
Trotz Empörung und Kritik hat der Begriff 78er jedoch bereits seine Wanderung ins kollektive Bewußtsein aufgenommen. Anders als die Künstler selbst streuen manche Feuilletonisten das Wort wohlwollend in ihre Beiträge; aus Rezensionen oder Anekdoten schauen die 78er dann plötzlich so selbstbewußt heraus, als gäbe es sie mindestens seit 1978. Politycki ist das durchaus genug: „Die 78er haben sich erledigt“, sagt er heute. „Man findet den Begriff mal hier, mal da, und damit hat er seine Funktion erfüllt.“
Indem er die Funktionalität des 78er-Begriffs nicht leugnet, sondern betont, entzieht sich Politycki dem Vorwurf der Beliebigkeit. Wer hatte denn behauptet, der Begriff solle so dauerhaft sein wie ein Brandzeichen? Nein, echte postmoderne Generationstaufen bekennen sich zu ihrer Flüchtigkeit, kein Mensch will mehr den Rest seines Lebens etwa als „68er“ fristen. Kurzfristig kann die Behauptung, ein Streit handele im Grunde von einem Generationskonflikt, die Fronten verschieben; als ein Aspekt von anderen wären in Debatten die unterschiedlichen Generationserfahrungen zu berücksichtigen; vorübergehend können mit dem Generationsbegriff den unübersichtlichen Zeitläufen ein paar Subjekte untergeschoben werden. Etiketten sind schließlich nichts Böses. Ulrike Winkelmann
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