Mit Betrug die Arbeitslosigkeit vermindern –betr.: „Mehr Schröder – und mehr Fischer“, taz vom 15. 3. 99, „Die neuen Widerspruchsketten“, taz vom 17. 3. 99

Am 15. März bereitet uns Michael Rediske auf „mehr Fischer“ vor und meint damit Deregulierung und einen „sozialen Wandel im Einvernehmen mit den gesellschaftlichen Kräften“, also eben mit Hundt und Henkel usw. Wie das aussehen wird, wissen wir aus Erfahrung schon länger. Am 17. März erfahren wir von Stefan Reinecke, daß es nur eine Wahl gibt zwischen billigen Teilzeitjobs oder Schwarzarbeit und zwischen „Scheinselbständigkeit“ oder Stellenabbau; der Staat habe seine Rolle ausgespielt, er könne die Wirtschaft bei ihren Angriffen auf den Sozialstatus zwar etwas bremsen, aber ihren schließlichen Erfolg nicht verhindern. – Schicksal eben.

Die „gute alte Zeit“ kommt wieder. „Tagelöhner“ wird es zwar nicht mehr geben. Jetzt heißen sie „flexible Teilzeitarbeiter“. Sie sind immer bereit, von einem Job zum anderen zu springen und in arbeitslosen Zeiten den Gürtel enger zu schnallen. Selbstverständlich werden sie für Alter und Krankheit Vorsorge treffen (wovon eigentlich?).

Die großen Unternehmen wollten einen Teil ihrer Risiken gern anderen aufbürden, die Sozialabgaben sparen. So erfanden sie den „Scheinselbständigen“. Der Unternehmer beauftragt ihn nach Bedarf. Er trägt das Risiko der Auftragsflaute, der Krankheit, der höheren Gewalt, des Maschinenschadens, der Lkw-Panne u.a.m. Nur am „Risiko“ des höheren Gewinns ist er nicht beteiligt.

Früher war das strafbar, weil es sich in Wirklichkeit um ein Abhängigkeitsverhältnis handelt, die Versicherungen um die Beiträge betrogen werden sollen. In grauer Vorzeit haben die Gewerkschaften diese Manipulationen bekämpft. Heute empfehlen sie und die Grünen, mit solchem Betrug die Arbeitslosigkeit zu vermindern. Wenn es dem Profit der Unternehmen dient, ist (fast?) alles erlaubt.

Es ist kein Naturgesetz, daß die Reichen reicher und die Armen ärmer werden. Aber auch der vielberufene Markt ist keine Naturgewalt wie Ebbe und Flut, wie immer getan wird. Er wird von Menschen gemacht und manipuliert. Lassen wir uns den „Tagelöhner“ und den „Scheinselbständigen“ nicht aufschwätzen. Sie sind nicht natur-, sondern systemimmanent. Ein System, das ihrer bedarf, ist menschenfeindlich. Auch wenn man nicht mit dem Kopf durch die Wand kann – jedenfalls darf man ein solches System nicht fördern, sondern muß es – vielleicht nicht gleich umstürzen – ändern. Hans-Joachim Lemme, Frankfurt