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Schwungvoll gezogen und getupft

Analog zum allmählichen Verfertigen von Gedanken beim Sprechen erforscht Monika Brandmeier, wie beim Zeichnen Kompositionen entstehen. Im Hamburger Bahnhof sind jetzt ihre Zeichnungen zu sehen  ■ Von Katrin Bettina Müller

Fast braucht man eine Lupe, um die winzigen roten Buchstaben der sechs Zeilen zu lesen: „unter leichtem Druck / gleichmäßig grau / erscheint eine / Lockerung der / Unterlage / in Abständen“. Komisches Gedicht, denkt man, bis man begreift, daß der Text die danebenstehende Zeichnung aus einem Stapel waagerechter Bleistiftstriche nicht nur beschreibt, sondern zugleich nachahmt. Das Ungelenke der Sprache hält seine eigene Unzulänglichkeit gegenüber dem visuellen Phänomen fest.

Die Zeichnungen von Monika Brandmeier haben keine Titel, aber Sprache und Zahlen tauchen in ihnen oft als typographisches und semantisches Element auf. Jedes Blatt trägt einen Datumsstempel, oft so blaß auf das Papier gehaucht, daß die Augen ihn suchen müssen wie den Schneehasen im Schnee. Die Auswahl der zweihundert Zeichnungen aus den vielen tausend Blättern, die seit 1982 entstanden sind, traf die Künstlerin selbst zusammen mit Alexander Dückers, dem Direktor des Kupferstichkabinetts. Das Blatt vom 13. April letzten Jahres haben sie neben das vom 13. Juli gehängt: „Dumm wie Löcher“ steht auf dem einen, „und Spucke“ auf dem anderen. Meinen die etwa den Betrachter, der hier völlig vergeblich die Löcher sucht?

Die Selbstbeobachtung beim Zeichnen, die Kommentierung des ersten Strichs durch den zweiten, macht die Spannung der Blätter aus. Analog zum allmählichen Verfertigen der Gedanken beim Sprechen erforscht Brandmeier die Entstehung der Komposition beim Zeichnen. Schritt für Schritt auf das schon Gesetzte reagieren heißt auch sich auf nicht Geplantes und Unvorhersehbares einlassen. Ihre sparsam besetzten Blätter, die manchmal mit zeilenähnlichen Strukturen nur an den Rändern markiert sind, während das Zentrum leer bleibt, sind auch eine Schule der Wahrnehmung.

Die ersten Zeichnungen der 1959 geborenen Künstlerin entstanden Anfang der achtziger Jahre, als gerade mit den Neuen Wilden Expressivität und Abbildung in die Malerei zurückkehrten. Brandmeier dagegen konzentrierte sich auf die Frage, was nach dem Abbau der repräsentativen Funktion denn von den zeichnerischen Elementen übrigbleibt. Eine Linie ist eine Linie ist eine Linie?

Solchen Tautologien steht ihre Forschung entgegen, weil sie die unterschiedliche Qualität der Striche und Plazierungen erprobt. Tinte, Ölfarbe, Kreide, Graphit, Klebebändern und Textzeilen sind ihre Materialien, Farbtuben, Feder, Pinsel, Filzstift und Fingerspitzen die Werkzeuge, mit denen sie den Krafteinsatz jeder Bewegung – gezogen, gestrichelt, getupft, mit Druck oder Schwung, langsam oder schnell – dokumentiert. Oft arbeitet sie auf einem eigens präparierten Papier, das den hellen Karton des Passepartouts durchscheinen läßt. Vor diesem zarten Grund zeichnet sich die Körperlichkeit der Materialien um so heftiger ab.

Je länger man die Zeichnungen betrachtet, desto mehr entsteht der Eindruck von großer Selbstdisziplinierung. Sie erzählen von einer Strukturierung des Künstleralltags, vom Dranbleiben, Motivationenschaffen. Auch die autonome Kunst braucht einen Auftrag, den der Künstler sich selbst stellen muß.

Genauigkeit in der Beobachtung und größtmögliche Klarheit über die Mittel scheinen Brandmeiers Ziel zu sein.

Anders als ihre Installationen und Skulpturen sind die Zeichnungen nicht im Hinblick auf eine Ausstellung entstanden. Sie begleiten vielmehr die Arbeit mit fotografischen Medien und Objekten kontinuierlich. Auch dort ist die Identität der Form mit sich selbst, die auf Repräsentation, Narration und Assoziationen verzichtet, ausschlaggebend. Im Hamburger Bahnhof deutet nur eine kleine Videoinstallation die Nähe zwischen ihrem zeichnerischen Denken und der Sprache der Objekte an.

„Monika Brandmeier“. Museum für Gegenwart im Hamburger Bahnhof, Invalidenstr., Di.–Fr. 10 bis 18 Uhr, Sa. und So. 11–18 Uhr, bis 11. Juli; Katalog 49 DM

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