piwik no script img

Welt der Nabel

Reliquien der Intimität: Bei Honey & Noney wird der Körpermittelpunkt in den verschiedensten Variationen reproduziert – von Wachs bis Schokolade  ■ Von Gyde Cold

Wo früher Schrauben, Werkzeuge und Hamsterkäfige über Jahrzehnte das alltägliche Leben ausrüsteten, wird neuerdings in anderem Sinne Existentielles fabriziert. Im Schaufenster von Honey & Noney öffnen sich Spanschachteln, in denen – steinartig mit glatter Oberfläche und der kleinen Vertiefung in der Mitte – Abgüsse von Bauchnabeln auf Stroh oder in einem bunten Federkranz gebettet sind. Der Eisenwarenladen in der Margaretenstraße ist nicht mehr, aber sein Geist lebt in den wandfüllenden Holzregalen fort, in denen nun Utta C. Hoffmann und Eleonore Ahrens ihre Ingredienzen zur Herstellung von „Honig und Nichts“ aufbewahren. Die Namensgebung ihres Ateliers spielt mit der Gewichtung von Kunst, die die Gesellschaft ihr gibt. Die beiden Künstlerinnen haben im vergangenen Dezember das Projekt Nabelschau geboren, das bis Ende 2000 laufen soll. Für den rund geformten Abguß des anatomisch vielfältig gestalteten Körpermittelpunktes steht eine Palette an Materialien zur Auswahl. Damit die Reproduktion bis in alle Ewigkeit hält, wird sie für den Preis eines teureren Friseurbesuchs aus den dauerhaften Rohstoffen Keramik, Bienenwachs, Kunstharz – mit Einschlüssen – oder Schokolade gegossen.

In ihrem Schrein aus Spanholz verwahrt, sind diese Reliquien der Intimität das ideale Liebesgeschenk: Sie leisten „Geburtshilfe“ beim Anschub einer zögerlichen Liaison, versüßen eine bewährte Verbindung, oder sie bestätigen als erstarrtes Abstammungssymbol lange abgenabelter Kinder ihren Eltern die Familienzugehörigkeit. Schließlich ist der Nabel der Ort, an dem einst Mutter und Kind miteinander verbunden waren. Er ist die Schnittstelle, an der die Existenz des autark funktionierenden Individuums hergestellt wird.

Die Nabelgießerinnen von Honey & Noney – beide sind Mütter und auch insofern vom Fach – greifen mit ihren Reproduktionen auf mythologische Traditionen zurück. Für die Griechen war das Zentrum der Welt ein Nabel, nämlich der Omphalos von Delphi, an dem die Schöpfung ihren Anfang genommen haben soll. Die Maoris hängten die Nabelschnüre der Neugeborenen in die Bäume, um für weitere Fruchtbarkeit zu sorgen. Andere Völker lasen aus der Nabelschnur Vorhersagungen für das kommende Leben ab.

Heute geht die Nabelbeschau profaner zu, aber nicht ohne Symbolik. Bis vor ein paar Jahren war der Nabel ein nur an Badestellen sichtbares Körperteil. Zwar kündigte er wiederkehrend auf den Laufstegen der Haute Couture eine Erotik der Unverletzlichkeit an, die aber erst im Zeitalter des Techno-Booms greifen konnte. Betont wird seither die Mitte des Körpers mit einem Stück Metall, angebracht zur Vergewisserung der eigenen Existenz. Mit dem Piercing des Nabels hat die Gesellschaft der Egomanen ein passendes Symbol ihrer kollektiven Nabelschau gefunden. Bei Honey & Noney erfährt der Nabel eine sakrosankte Aufladung und verführt deshalb dazu, den Blick der Individualmaniacs in ihre Herkunft zu senken.

Honey & Noney, Margaretenstr. 76, Tel.: 43 25 14 22

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen