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Zwischen Angst und Solidarität

Die Einwohner Apuliens im Südosten Italiens fürchten Vergeltungschläge aus Serbien. Geichzeitig bereiten sie sich auf einen neuen Flüchtlingsstrom vor  ■ Aus Martina Franca Werner Raith

„Also wenn ich ein Spion dieses Milošević wäre“, sagt Fatim aus Priština, 31 Jahre alt und seit einem halben Jahr in Italien, „dann würde ich genau hier ein Haus kaufen, ein starkes Fernrohr nehmen, und danach müßte ich mich kaum noch draußen bewegen.“

Tatsächlich ist das Panorama zwischen Martina Franca und Putignano beeindruckend und für Apulien, das nur drei Prozent Erhebungen und ansonsten reine Ebene aufweist, wohl einmalig. Unten liegt Locorotondo, weltberühmt wegen seiner kreisrunden weißen Häuschen mit den schwarzen Kegeldächern darauf. Ganz weit im Osten ist das Meer zu sehen, im Westen dehnen sich unendliche Weinberge und Olivenbaumpflanzungen aus. Vor allem aber liegt nur wenige Kilometer südöstlich das potenteste Radarzentrum Süditaliens, im Westen findet sich die Airbase Gioia del Colle, und bei einigermaßen guter Sicht sieht man östlich auch Monopoli und Brindisi – die vier wichtigsten Stützpunkte der Nato und der italienischen Luftwaffe im östlichen Unteritalien.

Das Rumoren der aufsteigenden und landenden Kampfjets und Bomber ist nahezu unentwegt zu hören. Auch nach dem Ende der ersten Angriffe vom Vortag und selbst in der Nacht läßt sich von hier aus leicht orten, wer wo wann hochzieht oder zur Landung ansetzt. Deshalb ist derzeit die Anhöhe auch so stark besucht. Hunderte von Apuliern sind heraufgekommen, kommentieren die Flugbewegungen. „Aber mich interessieren dabei nicht die unseren oder die Amerikaner“, sagt Gianlorenzo, Bäcker aus Bari, „sondern eher solche Silhouetten.“ Er zeigt in seinem „Luftwaffen-Jahrbuch“ auf eine markant hochziehende Maschine: „MiG 29“ steht darunter. „Die hat der Milošević, und die sind äußerst gefährlich.“

Fatim stimmt ihm zu: Im Kosovo hat er solche Flugzeuge gesehen, „nicht viele, aber doch einige“. Bäcker Gianlorenzo blickt denn auch gar nicht nach Westen, wo Jets alle paar Minuten abheben, sondern nach Osten, als stünde der Überfall der Serben auf Italien unmittelbar bevor.

Daß die Apulier Bammel haben, ist verständlich. Gerade mal eine Viertelstunde würde es dauern, bis eine in Belgrad gestartete Maschine die Region erreicht. „Und wir haben ja nicht mal Luftschutzbunker!“ stöhnt Ginalorenzos Sohn Pierino. „Der wird es nicht wagen“, meint eine Frau, deren Mann Oberst beim Heer ist. „Mein Mann sagt ...“ „Was dein Mann sagt, muß der Milošević doch nicht befolgen“, unterbricht sie ein Polizist, der sich um eine Regelung des Parkproblems bemüht. „Dieser Diktator ist unberechenbar.“ „Wohl wahr“, so die Umstehenden.

Fatim wiegt den Kopf hin und her. „Na, irgendwie haben wir uns doch darauf vorbereitet“, sagt er. Mit „wir“ meint er die Italiener, genauer, die italienischen Streitkräfte. „Kommt“, sagt er, „ich zeig euch was.“ Zusammen mit Blasir, einem Albaner aus Vlora, und Bernardo, in dessen Haus in Otranto die beiden seit einigen Monaten wohnen, lädt er uns in seinen klapprigen Fiat. Es geht hinunter in die Ebene. Über Turi geht es nach Casamassima, danach werden die Wege immer rumpeliger, zwischen uralten Olivenplantagen hindurch. Dann hält Fatim plötzlich. „Dort“, sagt er, und zu erkennen sind kleine Lichter, aber auch Lastwagen im Dunkelbraun des Militärs. „Das da ist eine unserer Abwehrstellungen. Sie haben sie vorgestern eingerichtet.“

„Wir haben ja nicht mal Luftschutzbunker“

Als es am Fenster klopft, steigt Fatim aus, begrüßt den Soldaten, der das Maschinengewehr im Anschlag hat, so als wären sie alte Bekannte: „Ich will diesen Reportern nur zeigen, wie gut ihr alles im Griff habt.“ Der Soldat ist unbeeindruckt. Erst nach der Ausweiskontrolle durch einen Feldwebel wird die MP gesenkt. Aber wir sollen gefälligst das Gebiet verlassen.

Fatim nimmt uns mit nach Otranto. Entlang der Adriaküste erwartet uns wesentlich mehr Bewegung unter der Bevölkerung als im Umfeld der Stützpunkte. Rotkreuzwagen des Militärs fahren hin und her. In ehemaligen „Kolonien“, langgezogenen Häusern, in denen zu Mussolinis Zeiten Kinder ihre Sommerferien verbringen durften, werden von Lastwagen zahlreiche Kisten ausgeladen. Paletten mit Decken in durchsichtigen Plastikhüllen werden in Schulen gebracht. Fatim nickt: „Diesmal haben die Italiener wirklich dazugelernt“, sagt er.

Anders als früher, wo man vom Ansturm der Flüchtlinge regelmäßig überrascht wurde, will man, so verkündet am Vormittag ein Sprecher der Präfektur, „für alle Fälle schon mal mindestens 15.000 Unterkunftsplätze bereitstellen“. Anders auch als in den vergangenen Monaten, wo sich die Apulier vom Rest Italiens und speziell den anderen EU-Ländern allein gelassen fühlten, ist derzeit eher eine Welle von Aufnahmebereitschaft zu erkennen. „Arme Schweine, man muß ihnen helfen“, sagt ein Automechaniker, der beim Verladen der Hilfsgüter zugreift. Und die Umstehenden nicken. Irgendwie stellt sich Solidarität ein zwischen denen, die Milošević' Mörderhand bereits verspürt haben, und jenen, die Angst haben, daß er nun auch in Italien zuschlägt. Fatims Gastgeber Bernardo sieht das auch so. „Man muß noch ein wenig zusammenrücken“, sagt er. „Krieg ist Krieg. Und wer würde vor dem nicht davonlaufen.“

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