"Im Land herrscht Resignation"

■ Im Kosovo ist Krieg - von der deutschen Friedensbewegung hört man nichts. Clemens Ronnefeldt vom Internationalen Versöhnungsbund über den verschwindenden Pazifismus in der Bundesrepublik

taz: Zum ersten Mal seit über 50 Jahren sind deutsche Soldaten wieder im Krieg – und nichts passiert. Mit Selbstverständlichkeit, fast mit Gleichgültigkeit reagieren die Deutschen auf diese Zäsur. Woran liegt das?

Clemens Ronnefeldt: Man kann nicht sagen, daß die Friedensbewegung in den letzten Jahren untätig war.

Das war nicht meine Frage. Ich habe Ihnen noch gar keinen Vorwurf gemacht.

Ich will nur deutlich machen, daß die Friedensbewegung dem, was im Kosovo passiert, seit Jahren nicht gleichgültig gegenübersteht. Wir sind mit vielen Initiativen auf dem Balkan aktiv. Davon erfährt die Öffentlichkeit leider nur selten.

Noch einmal meine Frage: Warum gibt es in Deutschland keine öffentliche Erregung darüber, daß die Bundeswehr in ihren ersten Kampfeinsatz zieht?

Es herrscht im Land eine Resignation. Die hat wohl damit zu tun, daß viele Erwartungen an die rot- grüne Regierung bezüglich einer zivileren Außenpolitik enttäuscht worden sind. Das rot-grüne Projekt ist tot.

Und deswegen kein Protest?

Es gibt ja Protest. Wir als Versöhnungsbund beispielsweise haben dazu aufgerufen, daß sich Bundeswehrsoldaten bei diesem Nato- Einsatz völkerrechtswidrigen Befehlen widersetzen sollen.

Ihre Initiative in allen Ehren – aber von gesellschaftlichem Protest kann man hier wohl nicht reden. Ist aus dem pazifistischen Deutschland der 70er und 80er Jahre eine kriegsbereite Nation geworden?

Gerhard Schröder hat kürzlich gesagt, vor einem Jahr wäre er noch erschlagen worden, hätte er damals Leopard-Panzer nach Makedonien geschickt. Heute tut er das – ohne klare völkerrechtliche Grundlage. Daraus kann man schließen, daß es in diesem Jahr einen Ruck nach rechts gegeben hat, der nicht vorhersehbar war. In Jahrzehnten gewachsene grundgesetzliche und völkerrechtliche Errungenschaften werden einfach über Bord geworfen.

Die Welt hat sich seit 1989 auch radikal verändert. Ist die Friedensbewegung vielleicht einfach nur das letzte Opfer des Mauerfalls?

Tatsache ist, daß die Friedensbewegung derzeit darniederliegt. Dabei wäre das frühe Erkennen von Konflikten und ihre zivile Lösung heutzutage wichtiger denn je. Die deutsche Bevölkerung ist in den letzten Jahren jedoch Stück für Stück an die Militarisierung der Außenpolitik gewöhnt worden.

Wie definieren Sie Pazifismus angesichts der humanitären Katastrophe, die sich im Kosovo abspielt?

Ansätze von Friedensgruppen wie das Balkan-Peace-Team, das Helsinki-Komitee für Menschenrechte oder die norwegische Nansen-Gruppe, die in Workshops und Seminaren Serben und Albaner zusamengenbracht haben, sind von außen in keinster Weise unterstützt worden. Es hätte viele Möglichkeiten gegeben, den Kosovo- Konflikt friedlich zu lösen. Sie sind von der internationalen Gemeinschaft entweder nicht gewollt oder leichtfertig verschenkt worden.

An welche Vorschläge denken Sie?

An die Balkan-Dauerkonferenz, die in eine Balkan-Föderation hätte münden können, oder an den Balkan-Marshallplan, mit dem die ganze Region wirtschaftlich entwickelt werden sollte. Es gab die Idee, einen albanischen Rat einzurichten. Nach dem Vorbild des irischen Rats hätte man die Grenzen nicht angetastet, aber die verschiedenen ethnischen Gruppen in einem internationalen Gremium zusammenbinden können. Möglich gewesen wäre auch ein internationales Protektorat. Das Kosovo wäre so drei Jahre lang unter UN-Kontrolle gestellt worden.

Warum wurden all die Chancen nicht genutzt?

Die Europäer haben sich zu leicht dem Druck der Amerikaner gebeugt, für die als einzige Lösung im Kosovo von Anfang an nur eine militärische Intervention in Frage kam. Dahinter stecken strategische Interessen der Amerikaner. Aus einer Studie der Bundeswehr geht hervor, daß die USA das Kosovo ganz klar als Präzedenzfall sehen. Er soll ihnen ermöglichen, auf ähnliche Konflikte im Kaukasus, wo große amerikanische und russische Ölgesellschaften um Einfluß kämpfen, ebenfalls mit einer Intervention zu reagieren. Die Amerikaner haben die UNO im Kosovo- Konflikt mit Absicht ins Leere laufen lassen, um die Nato als einzige weltweit operierende Ordnungsmacht zu etablieren. Dafür werden wir noch einen hohen Preis bezahlen.

Viele Menschen glauben nicht mehr, was Sie sagen. Sie sind in den letzen Jahren zu der Überzeugung gekommen, daß man angesichts solcher Diktatoren wie Saddam Hussein oder Milošević mit Moral, westlichen Werten und ziviler Konfliktregelung nicht mehr weit kommt. Fühlen Sie sich manchmal altmodisch?

Ich war seit 1992 zwölfmal im ehemaligen Jugoslawien. Ich habe vor Ort immer wieder die Erfahrung gemacht, daß es möglich ist, Konfliktparteien an einen Tisch zu kriegen. Allerdings unter einer Voraussetzung: Neutrale Gruppen ohne Eigeninteressen müssen als Vermittler auftreten. Und diese Haltung halte ich überhaupt nicht für altmodisch. Interview: Jens König