: Stilblüten aus der Festungshaft
Ein Türke liest Hitler: Seit drei Jahren tourt Serdar Somuncu mit „Mein Kampf“ durch Europa, um das verbotene Buch zu entmystifizieren. Jetzt ist er mit seinem szenischen Programm erstmals auch in Berlin zu Gast ■ Von Christoph Rasch
Die Auflage des Buches übertrifft die von Hera Linds „Superweib“ oder Alfred Bioleks Kochschmökern um ein Vielfaches. Dennoch, sagt der Türke Serdar Somuncu, „kennen es nur 0,002 Prozent der Deutschen, obwohl es damals jeder Schulabgänger bekam“. Sogar eine türkische Übersetzung bringt Somuncu mit: „Kavgam“, „eines der großen Werke antimarxistischer Weltliteratur“, heißt es im Untertitel – im Original „Mein Kampf“ von Adolf Hitler.
Die Volksausgabe in Leinen kostete 1943 noch sieben Reichsmark, heute bieten Sammler Tausende für die literarische Reliquie, die jeder Deutsche kennt, aber kaum einer gelesen hat. Kein Wunder: Kauf, Verkauf und Druck sind in Deutschland verboten – sein Besitz allerdings nicht.
Seit 1996 tourt der Türke damit durch Deutschland, und seine szenischen Lesungen aus dem tausendseitigen Wälzer erregen die Gemüter. „Schöpferische Völker sind von grundaus schöpferisch veranlagt“, diktierte der Autor in der Landsberger Festungshaft einst seinem späteren Stellvertreter Heß in den Block. Plumpe Sätze dieses Kalibers zerlegt Somuncu mit vollem Sprach- und Körpereinsatz. Flüsternd, brüllend, bellend, trampelnd, Hitlers Gestik bis zur perfekten Bloßstellung der inhaltsleeren Show von Hitlers Rhetorik nachahmend, beweist der 30jährige, daß „Schreiben nicht gerade zu dessen Talenten gehörte“. Selbst der das Diktat aufnehmende Rudolf Heß kam da oft nicht mehr mit. Viele Sätze brechen einfach mit „usw.“ ab.
300 Auftritte hat Serdar Somuncu bislang in ganz Deutschland absolviert. Ganz Deutschland? Nein, aus der einstigen Reichshauptstadt Berlin hat es bislang keine Einladungen gegeben. Hier ist die Lesung nun erstmals zu sehen – bis jetzt hätten sich Veranstalter hier „ganz schön schwer mit dem Thema getan“.
In über hundert Sprachen wurde der Wälzer übersetzt, von der hebräischen Ausgabe sind eine Million Stück gedruckt worden. Seit Somuncu das Werk für sich entdeckte, tourt der Schauspieler und Regisseur alleine und mit einem 15köpfigen Ensemble durch Europa. „Mir geht es dabei nicht um den soziologischen Anspruch“, sagt er, „ich spiele Theater.“
Mit Komik hat er dabei keine Berührungsangst, auch, wenn er sich so dem Vorwurf der reinen Parodie aussetzt. „Hitler minus Macht ist eine Komödie“, eine nüchterne Lese-Dokumentation, so Somuncu, würde die Demagogie schwerer erkennen lassen. „Es geht darum, das Buch zu entmystifizieren.“ Zu dem Projekt inspiriert hat ihn der Schauspieler Helmut Qualtinger, der als Rezitator mit „Mein Kampf“ vor 20 Jahren durch die Republik zog.
Somuncus Auftritte laufen nicht immer ohne Nebenwirkungen ab. Es gab Drohungen nicht nur von neonazistischen, sondern mitunter auch von autonomen Gruppen. Vor zwei Wochen, bei einem Auftritt zur Wehrmachtsausstellung in Saarbrücken, wurde gefragt: „Warum muß der Türke uns Geschichtsunterricht geben?“ Auch Drohanrufe sind für Somuncu nichts Ungewöhnliches mehr. So sind bei jedem Auftritt auch Polizisten in Zivil dabei. Doch, so der Türke mit deutschen Paß, „auch vor dem Gesetz ist man nicht immer sicher“.
In Bamberg wurde er zu Geldstrafen wegen „Verbreitung rechtsnationalen Gedankengutes“ verurteilt. Etwa wegen dieser Passagen aus Hitlers Rassentheorie: „Die Meise geht zur Meise, der Fink zum Fink“, doch werde „nie ein Fuchs zu finden sein, der positive Anwandlungen Gänsen gegenüber haben könnte.“ Auch diese Zeilen provozieren unwillkürlich Lacher.
„Kauft das Buch nicht“, gibt Somuncu seinen Zuhörern mit auf den Weg, „es lohnt sich nicht. Durch das Verbot macht man das Buch viel interessanter, als es das verdient.“
Heute abend um 19.30 Uhr im Kulturzentrum „Weiße Rose“, Martin-Luther-Str. 77, Schöneberg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen