UNO-Strukturen umgangen und geschwächt / Es sieht armselig aus –betr.: „Vorkriegsstimmung“, „Das ratlose, peinliche Schweigen“, „Unkalkulierbare Kettenreaktionen“, taz vom 25. 3. 99

[...] Die Gründe, die Menschen dazu bringen, den Nato-Einsatz zu unterstützen, kann ich gut verstehen, da es wirklich schwer zu ertragen ist, der barbarischen Politik Belgrads tatenlos zuzusehen. Trotzdem sprechen für mich vor allem zwei Dinge gegen die Nato-Angriffe:

1. Die UNO-Strukturen werden umgangen und geschwächt. Es gibt erstmals auch nicht nur die Andeutung eines Sicherheitsratamandats (im Falle der letzten Angriffe auf den Irak gab es immerhin noch Interpretationsspielraum). Damit schafft die Nato einen Präzedenzfall, dessen Folgen nicht abschätzbar sind. Die Europäer unterstützen nun die US-Politik, die die durchaus positiv zu wertenden Fesseln internationaler Organisationen lockern will. Mich erinnern die Rechtfertigungen für den Angriff auf Serbien fatal an die sowjetische Begründung für den Einmarsch in Afghanistan vor 20 Jahren.

2. Das Elend der Kosovo-Albaner wird als unvergleichlich hingestellt, was ein militärisches Eingreifen „zur Abwendung einer humanitären Katastrophe“ erzwinge. Merkwürdigerweise „erzwingen“ alle möglichen anderen humanitären Katastrophen keineswegs Militäreinsätze, und die Mehrheit der Menschen in den westlichen Demokratien ist durchaus in der Lage, mit dieser Last zu leben.

Schlimm finde ich daran, daß in anderen Fällen nicht einmal auch nur minimale Maßnahmen ergriffen werden. Auf das Paradebeispiel Türkei/Kurdistan hat ja auch Andrej Ivanji zu Recht hingewiesen, vom Sudan will ich gar nicht erst anfangen. Vor diesem Hintergrund konnte mir leider bisher niemand erklären, warum nun ausgerechnet der Kosovo das Aushebeln des Völkerrechts rechtfertigt. Thomas Mösch, Hamburg

[...] Die Bundeswehr hatte im Rahmen der Nato den Auftrag, die OSZE-Mitarbeiter im Kosovo zu schützen. Die OSZE-Mitarbeiter haben das Kosovo verlassen, und ein Friedensabkommen, das den Verbleib der Bundeswehr rechtfertigt, gibt es nicht. Die Truppen müssen jetzt, wie auch der ehemalige Verteidigungsminister richtig erkannt hat, nach Hause geholt werden. Der ist zwar kein Pazifist, aber er kennt immerhin die Rechtslage. [...]

Bündnis 90/Die Grünen forderten als Oppositionspartei einst den Austritt der Bundesrepublik aus der Nato und die Abschaffung der Bundeswehr. Fast alle männlichen Abgeordneten von B'90/Die Grünen sind als Kriegsdienstverweigerer anerkannt. Sie haben in der ausführlichen Darlegung ihrer Gewissensgründe glaubhat nachweisen müssen, daß sie die Beteiligung an einem Krieg grundsätzlich ablehnen. In der Regierungskoalition tragen sie aktiv zum ersten von der Bundesrepublik geführten Angriffskrieg bei. [...]

Bündnis 90/Die Grünen haben ihre Glaubwürdigkeit verloren und nicht die Nato. Die Nato hat in Sachen Frieden und Menschenrechte niemals Glaubwürdigkeit besessen. [...] Ralf Cüppers, Sottrupskov, Dänemark

Dieselbe Begründung, die jetzt dazu dient, Jugoslawien anzugreifen, hätte schon seit etlichen Jahren zur Bombardierung der Türkei herangezogen werden können. Nachweislich wurden dort bekannterweise über 2.000 kurdische Dörfer vom Militär dem Erdboden gleichgemacht, werden Massaker an Kriegsgefangenen und Zivilbevölkerung begangen und systematisch gefoltert, mußten Millionen Kurden fliehen und gibt es Zehntausende politische Gefangene. Die Unterschiede zu Jugoslawien sind die Nato-Mitgliedschaft der Türkei und über 13 Milliarden Mark deutscher Waffenexporte. Genug Gründe, um als vaterländischer Grüner oder Sozialdemokrat die Menschenrechte mit Lenkwaffen dann doch eher im Kosovo zu pflegen. Uwe Ahlborn, Hamburg

Wer eine „Militärlösung“ im Kosovo, trotz der Gefahr eines Weltkriegs, trotz einer dadurch erhöhten Anzahl von Toten und Flüchtlingen befürwortet und möglicherweise den Anfang vom Ende der Nato in Kauf nimmt, der verstößt beziehungsweise handelt gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit und ist für das Desaster in der Politik mitverantwortlich. [...] Dusan Nonkovic, Lübeck

Lieber Joschka Fischer, nun ist Krieg, und (fast) alle gehen hin.

Daß gerade du und die Grünen uns in den Krieg führen, daß hätte ich im Traum nicht erwartet. Nun ist er da. Die ganze Sache erinnert mich an die Geschichte vom „Blaumilch-Kanal“, wie sie von Kishon beschrieben wird: Irgendeiner fängt an, und keiner traut sich, der Unternehmung Einhalt zu bieten, weil keiner sein Gesicht verlieren will.

Ich bin sicher, du wirst unsere Soldaten in ein fremdes Land einmarschieren lassen, damit die beweisen können, daß Soldaten ... (das tun, was sie halt tun müssen).

Ich bin nicht sicher, ob die Serben auf ihr historisches Kernland (den Kosovo) verzichten werden, weil sie dort zur Zeit eine Minderheit bilden. Wir würden ja auch nicht auf Kreuzberg verzichten, auch wenn der Ausländeranteil überwiegen sollte.

Vielleicht habe ich in den letzten sieben Jahren irgend etwas nicht mitbekommen, als ich für den Entwicklungsdienst in Ostafrika gearbeitet habe. Ich dachte immer: „Wir sind gegen den Krieg.“ Aber es scheint nicht das Monopol der Diktaturen zu sein, Gewalt anzuwenden. Ich schäme mich für Deutschland wegen der Mißachtung des Grundgesetzes (Verbot von Angriffskriegen) und der UNO-Charta (kein Mandat). Und von dir, lieber Joschka, würde ich mich nicht einmal mehr im Taxi fahren lassen. Butch Speck, Einhaus