: Draußen herrscht Krieg
■ Doch es gibt auch das Prinzip Hoffnung: wenn der Bolzplatz zum Königreich wird, einmal rechts nicht für immer rechts sein heißt oder der Blick hinter die Kulissen der Ideologien gelingt
Wenn man als Kind lange genug Opfer war, will man später auf der Straße in seiner Gang Respekt, auch mit Gewalt. Als Angst noch nicht das Lebensgefühl Jugendlicher beherrschte, gab es Gnade für den, der unten liegt. Heute scheint das die Ausnahme zu sein.
Der Fußballplatz – ein Königreich
Es war in den goldenen Siebzigern, bevor die Stadt zur Baustelle wurde. In einem Charlottenburger Kiez nahmen sich vier Jungen verschiedener Nationalitäten und ihre Freunde eine vergessene Freifläche und machten daraus einen Fußballplatz. Es war ihr Königreich, ihr Ferienziel. Wie bedauernswert waren da doch die Kinder, die sich in Spanien oder Schweden langweilen mußten. So sieht es jedenfalls Zoran. Seine unkomplizierte Sprache ist ein Zauberstab und was sie berührt, wird lebendig. Die Multikultikindheit der vier Jungen im Kiez erinnert entfernt an Bullerbü. Es geschieht nichts Weltbewegendes zwischen Fußballplatz und Lietzensee, und doch ist in diesem Mikrokosmos alles drin, was zu einer gelungenen Kindheit gehört. Die große Liebe, die doch zu groß ist. Das vorsichtige Ausbalancieren von Freundschaften. Die ehrlich zugegebenen Schwierigkeiten, wenn einer der Gruppennorm nicht entspricht. Der kritische Blick auf Eltern und ihre Erwartungen. Und der Krieg mit den Türken, den gab es auch damals schon. Nur Messer hatte keiner. Es ging nicht um Leben oder Tod. In dieser gemütlichen Zeit prügelte man sich auch manchmal und wußte sogar, daß Langeweile etwas damit zu tun hat. Doch die kam in Zorans Kindheit eher selten vor.
Zoran Drvenkar: „Niemand ist so stark wie wir“. Rotfuchs rororo, ab 12 Jahre, 14,90 DM.
Kreuzberg 1999 – wie im falschen Film
Heike Brandts Buch „Katzensprünge“ ist ein Zustandsbericht. In das Kreuzberg von heute wirft sie den 11jährigen Dirk. Er ist ein Trennungsopfer und wäre lieber in Heiersdorf geblieben, denn das einzig Grüne hier ist der Walnußbaum im zweiten Hinterhof und die Menschen so anders. Da gibt es die Rechtsradikalen, die Schwarzen, die Türken, die Penner. Gewalt liegt in der Luft: Ob nun zu Hause verdroschen wird oder draußen. Dirk fühlt sich wie im falschen Film, während seine Mutter um gutes Benehmen und ihren Neuanfang kämpft. Natürlich ist sie spießig, wie man das erwartet von Müttern aus den neuen Bundesländern. Zu einer alternativen Familie gehören aber offenbar Unordnung, Chaos und alte Schränke. Doch Dirk bleibt vorsichtig. Die „Alternativen“ sind doch nicht automatisch die besseren Menschen und wer weiß, mit welchem Etikett die nächsten Generationen diese Schubladen beschriften.
Manche Kinder fanden das Buch krasser als die Wirklichkeit. „Und wenn jetzt die Bonner kommen“, gab einer zu bedenken, „und lesen das Buch, dann gehen die sofort wieder.“ Anderen gefiel das Prinzip Hoffnung: Einmal rechts ist nicht immer rechts.
Heike Brandt: „Katzensprünge“. dtv junior, ab 11 Jahre, 12,90 DM.
Verschiedene Herkunft – verschiedene Interessen
Warum plötzlich scheinbar ganz vernünftige Jugendliche zu Rassisten werden, zeigt sehr präzise das Buch „Smash“. Zwei Geschwisterpaare, seit langem befreundet, jeweils ein Mädchen und ein Junge, einmal englischer, einmal pakistanischer Herkunft, entdecken plötzlich, daß verschiedener Ursprung offensichtlich auch bedeutet, verschiedene Interessen verteidigen zu müssen.
Auf der einen Seite versucht die muslimische Vereinigung, ihre Mitglieder zum bewaffneten Untergrundkampf zu überreden, auf der anderen Seite werden rassistische Aktionen geplant. Niemand will wissen, wer die Gewaltspirale in Gang gesetzt hat und warum. Alle benehmen sich, als wäre es ein Naturgesetz. Weder Stephen noch Ashraf gelingt es auszusteigen. Erst als sie schwer verletzt im Krankenhaus liegen, bemühen sie sich um ihre zerstörte Freundschaft. Die beiden Mädchen, immun gegen rassistische Hetze, können sogar aufdecken, wer die Drahtzieher des ganzen Spektakels sind, und daß die Sache des Islams und der Rassisten nur benutzt wurden, um kapitalistische Interessen durchzusetzen.
Anfangs wirken die Kapitel sehr inszeniert. Die dadurch entstehende Distanz hilft aber – je spannender es wird – einen wachen Blick auf die Gewaltstrukturen zu behalten. Ein Buch, das die Kinder ermutigt, hinter die Kulissen der Ideologien zu schauen.
Robert Swindells: „Smash“. Urachhaus, ab 12 Jahre, 26 DM.
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