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E-Mail aus dem Kosovo

■ Eine virtuelle Brieffreundschaft

Die E-Mail-Korrespondenz der 16jährigen Adona (*) aus dem Kosovo mit ihrem gleichaltrigen Brieffreund Finnegan Hamill aus Berkeley erschüttert Amerika. Auszüge aus den Briefen Adonas werden in Fortsetzungen von Youth Radio, einem von Jugendlichen betrieben Radioprojekt in Berkeley, gesendet. Diese Woche übernahm National Public Radio, der öffentlich-rechtliche Rundfunksender, die Sendungen und strahlte sie landesweit aus. Seither kann sich Youth Radio, ein Projekt von und für Ghetto-Kids, vor Anfragen nicht mehr retten. Im folgenden dokumentieren wir leicht gekürzt einen Brief von Adona, der vor Beginn der Nato-Luftangriffe geschrieben wurde:

„Man weiß hier nie, was einem geschehen kann. Eines Nachts waren wir von Polizei und Armee umstellt. Wären die OSZE-Beobachter nicht gewesen, wer weiß, wie viele Opfer es gegeben hätte. Ich bin keine praktizierend Muslimin. Weißt Du warum? Hätten die Türken unsere Großeltern nicht zur Annahme ihrer Religion gezwungen, wäre ich jetzt katholisch oder orthodox. Ich glaube, Religion ist eine gute, saubere und reine Sache, die Menschen in ihrem Leben hilft. Persönlich stimme ich Descartes zu, wenn er sagt, Gott ist eine menschliche Einbildung.

Ich liebe Musik, die Rolling Stones, Sade Jewel, Cher und andere wie Bon Jovi, die Beatles und REM (meine Lieblingsgruppe überhaupt). Ich tanze auch gern. Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie gerne ich auf eine Party gehen würde. (...) Ich mache gern verrückte Dinge. Früher hing ich mit meinen Freunden bis abends um 11 rum. In den Straßen waren wir nie sicher, aber jetzt sind wir es nicht mal zu Hause. Ich gehe immer ohne Ausweis. Wenn die Polizei mich anhält, rede ich einfach serbisch. Das klappt immer.

Auf dem Rucksack eines Mitschülers steht: „Friede ist die Zeit zwischen den Kriegen.“ Erst fand ich das doof, jetzt, wo ich darüber nachdenke, leuchtet mir das ein.

Manchmal ist die Situation wirklich angespannt. Dann kommt die ganze Familie zusammen, und wir beraten, was wir im Notfall machen, wie wir an Geld kommen, bei wem wir Hilfe finden, wo wir unsere Pässe aufheben. Wir haben uns warme Kleidung besorgt, für den Fall, daß wir in die Berge fliehen müssen. Wir sind auf das Schlimmste vorbereitet und haben gelernt, daß das Leben so oder so weitergeht. Heute war ein sehr trauriger Tag, der traurigste, schrecklichsten und schlimmste meines Lebens. Wir mußten uns alle voneinander verabschieden. Das Gefühl, daß wir uns nie wiedersehen würden, beherrschte alle. Es gab auch Tränen.

Während ich dies schreibe, sehe ich vom Balkon aus, wie Leute mit ihrem Gepäck fliehen. Ich höre Schüsse. Vom Balkon aus kann ich sehen, wie ein nahe gelegenes Dorf umstellt wird.

Liebster Finney, solange ich Strom habe, werde ich Dir schreiben. Jetzt gerade versuche ich die Ruhe zu bewahren. Mein kleiner 9jähriger Bruder schläft. Ich hoffe, ich muß seine Träume nicht stören. Jetzt aber muß ich gehen. Wir kriegen gerade neue Nachrichten. Dank Dir für Deine moralische Unterstützung. Hab vielen Dank. Ich hoffe bald wieder von Dir zu hören. Adona, Kosovo.“ Peter Tautfest, Washington

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