Die Hölle unter der Treppe

■ Zu Gast bei den Hamburger Lesetagen: der schwedische Romancier Kjell Johansson mit seinem „Der Geschichtenmacher“

Wenn wir zunächst ganz ziellos über einst Vorgefallenes aus unserer Kindheit und Jugend zu plaudern beginnen, geraten wir bald in einen Strudel unterschiedlichster Gefühlswelten. Was sich so harmlos als Anekdote an Anekdote reiht, bündelt sich schnell zu einer Aufrechnung mit den Eltern; beschönigend und erklärend, zuweilen anklagend bis verurteilend. Ein Prozeß, der – durchgehalten – wenigstens eines verspricht: Bewußtwerdung der eigenen Geschichte.

Von diesem unbequemen Prozeß erzählt der schwedische Romancier Kjell Johansson in seinem jüngst erschienenen Roman Der Geschichtenmacher, den er im Rahmen der Hamburger Lesetage vorstellen wird. Mithin das Porträit einer Familie aus einem Stockholmer Arbeiterviertel während der Nachkriegszeit.

Da ist zunächst der Vater, der von einer großen Reise zurückkommt, ohne seltsamerweise mit Erlebnissen aus fremden Ländern auftrumpfen zu können. Da ist die Mutter, eine Lesebesessene, die sich so Fluchtwege offenhält. Es folgt die jüngere Schwester Eva, die sich später in der Nervenheilanstalt wird erholen müssen. Plus die im Hause wohnenden Großeltern mütterlicherseits, ein heillos zerstrittenes Paar, das sich gegenseitig das Leben schwermacht. Die Hölle, das ist die Familie. Einerseits.

Andererseits bleibt sie trotz allen Durcheinanders eine phantasieträchtige Heimstatt, wo das Kind versucht, jeden noch so leisen Zwischenton für sich zu nutzen. Es sind denn auch die überlieferten Geschichten, die das wachsende Kapital einer noch bruchstückhaften Identität bilden. Durch Zuhören, Abgleichen, Ausschmücken eröffnet sich eine Welt, die Besseres verspricht; Umdeuten inklusive.

Eine Erzählweise, die besonders der Vater meisterhaft beherrscht und auf einer ganz eigenen Bühne präsentiert: der Kneipe. Wo er mit weißgepudertem Gesicht und drappiertem Seidenschal die Bedienung schikaniert. Wo er sich Glas für Glas in eine imaginierte Welt aus Erfolg und Ruhm trinkt. Wo er seinen Sohn mit endlosen Tiraden hinhält, der doch nur versucht, ihn dahin zu locken, wohin beide gehören: nach Hause.

Johansson schildert all dies mit schmerzender Genauigkeit und bitterem Humor. Hier spricht kein kühler Konstrukteur, kein salopper Pessimist. Johanssons Epos vom Ende einer Kindheit, die von Anfang an keine glückliche ist, bleibt bis zum letzten Satz eine verzweifelte Liebeserklärung des Sohnes an den Vater. Dazu ein Kabinettstück über die Verlorenheit der Kindheit, das sich in seiner ganzen Härte unerbittlich einbrennt, wenn die Kinder unter der Treppe „daß es uns nicht gibt“ spielen. Frank Keil

Lesung: heute, 29. März, 20 Uhr, elektrum, Museum der Elektrizität, Klinikweg 23

Kjell Johansson, „Der Geschichtenmacher“, aus dem Schwedischen von Susanne Dahmenn, Claassen, München 1999, 368 Seiten, 39,90 Mark