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Es wird einmal in Oranienburg

Die Stadt nördlich von Berlin möchte mit dem Oranierjahr ihren schlechten Ruf aufpolieren. Doch Baustellen, Unvermögen und Geldmangel bedrohen die geplante Imagekorrektur. Immerhin kommt die holländische Königin    ■ Von Anselm Worthik

Dies ist ein Märchen. Es handelt von einer kleinen Stadt. Es gibt ein Schloß, Lokalfürsten und einsame Ritter. Die Königin heißt Beatrix, steht dem Volk der Niederländer vor und wird am 14. August 1999 in der kleinen Stadt eine große Ausstellung eröffnen. Dann wird jeder Mann und jede Frau in unserer Märchenstadt glücklich sein. Daran glaubt man fest in der kleinen Stadt, die im echten Leben Oranienburg heißt.

Kürzlich fragte sich die Lokalpresse besorgt: „Wird Königin Beatrix über eine Baustelle ins Schloß stolpern müssen“, wenn sie die 4 Millionen Mark teure Oranier-Ausstellung eröffnet? Ende Februar hat das bereits seit Jahren mit der Baubetreuung beschäftigte Berliner Büro für Architektur und Denkmalpflege (BASD) das Schloß verlassen. Man wirft der Stadt Vertragsbruch vor. „Wir haben“, sagt Professor Karsten Westphal, „solange es ging, den Mantel der Loyalität drüber gehalten.“ Inzwischen stehe ein so großer Teil des Honorars aus, daß zehn Arbeitsplätze gefährdet seien. „Unprofessionalität und Unsouveränität“ in der Stadtverwaltung konstatiert Westphal.

Die Stadt hält sich wegen des laufenden Rechtsstreits momentan bedeckt. „Es geht zur Zeit nur um eine einzige Rechnung, die von uns nicht bezahlt wurde“, so Frank Oltersdorf, Leiter des Hochbauamtes. Nun will sein Amt selbst die Renovierung termingerecht zu Ende bringen. „Daran sieht man doch sehr deutlich“, meint wiederum Westphal, „wie gut wir gearbeitet haben.“

Diese Auseinandersetzung ist der vorläufig letzte Höhepunkt in einer langen Liste von Unzulänglichkeiten, die die Vorbereitungen auf das Oranierjahr bislang begleiteten. So wird das Landesstraßenbauamt Strausberg das anstehende Kulturereignis wohl mit einigen Baustellen begleiten, die den eh schon stockenden Verkehr auf den beiden Bundesstraßen, die sich im Stadtzentrum kreuzen, noch zusätzlich behindern könnten. Auch die Bundesbahn sorgt für ein angemessenes Umfeld: Umlängst wurde mit der Sanierung des Bahnhofes begonnen. Die wird sich auch noch während der Ausstellung hinziehen.

300.000 Menschen aus aller Welt besuchen jedes Jahr Sachsenhausen. Viele davon reisen mit der S-Bahn aus Berlin an, doch bis heute gibt es keine Buslinie zur Gedenkstätte. Wer vom Bahnhof zum Konzentrationslager läuft, dem bietet sich als erster bleibender Eindruck vor einer Reihe Plattenbauten der „Asia-Imbiß Chinapfanne“. Dort werden jugendliche Kurzfrisierte verpflegt, während sich vor dem Netto-Supermarkt gegenüber die ortsansässigen Alkoholiker betrinken.

Auf dem Fußweg nach Sachsenhausen findet sich nichts, „was einen Besucher animieren könnte, auch nur eine Sekunde einen Halt in Oranienburg zu machen“, stellte Volker Philipp, Geschäftsführer der Hannoveraner Niederlassung der niederländisch-deutschen Werbeagentur Muntz, nach mehreren Besuchen in Oranienburg im Frühjahr 98 fest. Dabei war Philipp auf eine „vollkommen fehlbesetzte“ Stadtverwaltung gestoßen. So antwortete ihm der damalige stellvertretende Bürgermeister Michael Götze-Ohlrich, der für die Vorbereitungen auf das Oranierjahr verantwortlich war, auf die Frage, wie man ein attraktives Umfeld schaffen möchte, man werde sich um ausreichend Mülleimer bemühen. Seine Bemühungen, eine Zusammenarbeit mit städtischen Stellen anzukurbeln, gab Philipp auf. Götze-Ohlrich ist inzwischen gegangen, seine Ämter hat Bürgermeister Hans-Joachim Laesicke (SPD) mit übernommen.

Im vergangenen Mai engagierte Laesicke einen sogenannten „Projektkoordinator“. Seitdem residiert Klaus Hänel mit zehn ihm unterstellten ABM-Kräften in einem tristen Betonblock. Der Projektkoordinator soll das städtische Rahmenprogramm zur Ausstellung ankurbeln, „die Infrastruktur für den Gast“ und „die Aufenthaltsqualität“ verbessern. Das Stadtbild beherrschen Bomberjacken, aber nach Ansicht der Stadtväter hat Oranienburg vor allem ein Problem mit seinem Image. „Unser Hauptanliegen ist es“, sagt der Bürgermeister, „uns als gute Gastgeber zu präsentieren.“ Dieses Anliegen hat auch der anläßlich der drohenden Oranier-Ausstellung gegründete Fremdenverkehrsverein. Der brachte unter anderem Gedenkmedaillen, eine historische Speisekarte und eine monatliche Stadtrundfahrt auf den Weg, wurde aber im Januar von Turbulenzen erschüttert.

Vier ortsansässige Hoteliers nahmen ihre Vermarktung lieber selber in die Hand und reisten auf eigene Faust in die Niederlande, um dort Kontakte zu knüpfen. Nun hoffen „Die starken vier“, wie sie sich nennen, auf zusätzliche Buchungen. Die wären bitter nötig. Die Auslastung der meisten Hotels liegt bei ungefähr 20 Prozent. „Wir haben durch unsere Initiative alles aufgescheucht und vielleicht auch etwas bewegt“, hofft Rainer Heilen, Chef des Stadthotels, der aber immer noch mangelnde Kommunikation zwischen den Interessenverbänden beklagt.

Kommunikation ist auch ein Problem des Projektkoordinators. So bezeichnete Andreas Wiersma, Optiker und Vorsitzender der City-Gemeinschaft Oranienburg, einem Zusammenschluß von 24 Gewerbetreibenden, ihn schon mal als „Stadtschädiger“. Hänel hatte geplant, die Besucherströme von der Bernauerstraße, dem tristen Einkaufsboulevard Oranienburgs, an dem viele CGO-Mitglieder ihre Geschäfte haben, fernzuhalten, und statt dessen durch einen an der Havel gelegenen Fußweg zu leiten, der zur „Klangallee“ umgebaut werden sollte. Wiersma, der sich vom Königinnenbesuch gar „internationale Aufmerksamkeit“ erhofft, und Hänel haben das Kriegsbeil inzwischen begraben. Die Klangallee ist trotzdem gestorben, wie so viele andere Ideen, die Hänel angedacht hatte. Mal scheitert er am Unverständnis, mal schlicht am Geld. 305.000 Mark an Sachmitteln stehen Hänel 1999 für das städtische Rahmenprogramm zur Verfügung. Das setzt sich nun notgedrungen vornehmlich aus sowieso alljährlich stattfindenden Bürgerfesten zusammen. Insgesamt, verkündet der Bürgermeister, wendet die Stadt 1.045.500 Mark für das Rahmenprogramm auf.

Allein 200.000 Mark entfallen dabei auf die Errichtung von Parkflächen direkt vor dem Schloß. „Da steigen die Leute aus, laufen ins Schloß und gehen wieder“, befürchtet die bündnisgrüne Stadtverordnete Cornelia Berndt. Sie meint, daß es die Stadt versäumt hat, rechtzeitig mit der Planung zu beginnen: „Den stellvertretenden Bürgermeister hat Laesicke vergrault, was jeder in der Stadt weiß, und jetzt will er alles selber machen.“ Nicht nur wurde der Projektkoordinator „zu spät eingestellt“, jetzt wird er auch noch „alleingelassen“. Ihr Fazit: „amateurhaft“.

„Man kann nur hoffen, daß die Chance für Oranienburg genutzt wird“, sagt Günter Morsch, Leiter der Brandenburgischen KZ-Gedenkstätten. Sein Büro befindet sich mit dem Finanzamt zusammen in dem Gebäude, in dem ab 1938 die Inspektion der Konzentrationslager ihren Sitz hatte. Drei- bis viertausend niederländische Häftlinge waren in Sachsenhausen inhaftiert.

Bei den Organisatoren der Oranier-Ausstellung, der Stiftung Schlösser und Gärten, ist Morsch allerdings auf „taube Ohren“ gestoßen, was die neuere Vergangenheit der deutsch-holländischen Beziehungen betrifft. Immerhin vom Land hat man etwas Geld bekommen für eine kleine Ausstellung zur Geschichte der niederländischen Häftlinge. Zur endgültigen Finanzierung sucht man noch private Sponsoren.

Hänel hat das, was von seinem Rahmenprogramm noch übrigbleiben wird, unter das Motto „Tolerantes Oranienburg“ gestellt und bemüht sich, alle Beteiligten für das Thema zu erwärmen. „Aber sicher“ sei seine Stadt tolerant, meint der Bürgermeister, während eine Studie der FU Berlin zum Thema ein „völlig überzogenes fremdenfeindliches Alltagsbewußtsein“ in Oranienburg ausmachte. Ende November wurde die Studie in Oranienburg vorgestellt. Der Bürgermeister war verhindert, das Landratsamt fehlte komplett, und von 32 Stadtverordneten war eine einzige anwesend. „Die Stadt könnte mehr tun“, meint Professor Hajo Funke, Mitautor der Studie.

Gedenkstättenleiter Morsch hofft, daß das Oranierjahr der Stadt „eine neue Definition ihrer Geschichte geben“ möge, denn bisher leide Oranienburg „an der Identifikation seiner Bürger“. Um diese zu verbessern, solle man lieber klotzen und „nicht gucken, ob sich das betriebswirtschaftlich rechnet“. Doch dazu, sagt der Bürgermeister der Stadt, die unlängst 7 Millionen Mark an die eigenen Stadtwerke für ein 39 Millionen Mark teures Freizeitbad überwiesen hat, sei nicht genug Geld da. Aber auch die Oranienburger selbst scheint vornehmlich zu interessieren, daß eine leibhaftige Königin kommt. Wenn das Märchen wirklich ein Märchen werden soll, dann muß es gut ausgehen. Dann kommt die holländische Königin, und die Stadt wird glücklich sein.

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