: „Elf Freunde müßt ihr sein“
Der Balkankrieg sorgt in der Multikulti-Truppe von Tennis Borussia für Unruhe. Die Mannschaft, die in der Mehrheit serbokroatisch spricht, gleicht dem ethnischen Puzzle im zerfallenen Vielvölkerstaat ■ Von Jürgen Schulz
Vergangenen Freitag, bei seinem Amtsantritt als Trainer von Tennis Borussia, fand Winfried Schäfer in der Mannschaftskabine ungewöhnliche Lektüre vor. Statt Fachmagazinen wie Kicker oder Berliner Boulevardblättern, aus denen sich Profis ansonsten mit dem nötigen Banchenwissen versorgen, lagen im Umkleideraum auffallend viele Zeitungen mit politischen Reportagen aus dem Kriegsgebiet auf dem Balkan. „Ist denn jemand von meinen Jungs davon betroffen?“ wollte der alarmierte Sportpädagoge wissen.
Mehr als andere Klubs im bundesdeutschen Profilager ist der Multikulti-Kader von TeBe gespickt mit Akteuren aus dem früheren Jugoslawien. Deutsche sind in der Unterzahl. Das Gros der Mannschaft spricht serbokroatisch und gleicht dem ethnischen Puzzle im zerfallenen Vielvölkerstaat: Ein Serbe, ein Montenegriner, ein Bosnier, ein Kroate, ein Albaner sowie drei Makedonier stehen bei dem Berliner Bundesliga-Aspiranten unter Vertrag. Nun hofft Übungsleiter Schäfer vor seiner Heimpremiere gegen die Stuttgarter Kickers am Donnerstag, daß sich die alte Weisheit des früheren Bundestrainers und Tennis-Borussen Sepp Herberger – „Elf Freunde müßt ihr sein“ – bewahrheitet. In Spanien und Italien beispielsweise drohen serbische Ballkünstler mit Streik, sollte die Nato ihren Einsatz nicht abbrechen.
„Wir sind Profis und konzentrieren uns auf unsere Arbeit“, versucht der Albaner Harun Isa, der aus dem makedonischen Tetovo stammt, wo deutsche Soldaten stationiert sind, von politischen Fragen abzulenken. Doch es fällt dem kleinen Stürmer, der seit sieben Jahren in Berlin wohnt, zunehmend schwerer. „Jeden Tag telefoniere ich mit meinen Eltern und Brüdern. Ich hoffe, es passiert nichts.“ Ein Borusse hat die Eskalation in seiner Heimat schon am eigenen Leib zu spüren bekommen: Der Makedonier Toni Micevski, der am Donnerstag in Skopje für sein Land gegen Irland um Punkte in der EM-Qualifikation antreten sollte, mußte unverrichteterdinge nach Berlin zurückkehren. Der europäische Verband setzte die Partie kurzerhand ab, weil für die Sicherheit der Mannschaften nicht garantiert werden konnte. Die Unterkunft der irischen Gäste in Skopje war von Sicherheitskräften okkupiert.
Die Stimmung beim TeBe-Training im Mommsenstadion scheint normal. Unter Zaungästen wird jedoch geraunt, der serbische Borussen-Torwart Goran Curko könnte wie seine Landsleute in der spanischen Primera División in den Streik treten, weil er fernab seines Arbeitsplatzes als Feldspieler agiert. Dann kommt das ärztliche Dementi: Goran Curko habe wegen eines Bänderrisses im Arm lediglich Fangverbot. Curko wirkt gereizt, bis dem sonst als gutmütig geltenden Riesen mit dem geschorenen Kopf der Kragen platzt. „Wie kannst du schreiben, ich sei Kroate!“ schnauzt er einen Reporter an, der sich in einem Loblied auf das Können des Torhüters in dessen Nationalität vergriffen hatte. „Ich bin Jugoslawe!“ giftet Curko. „Mein Land wird von der Nato bombardiert.“
Die anderen Ex-Jugoslawen hörten geflissentlich weg, aber auch unter ihnen herrscht politisch bedingte Nervosität. Bereits im Februar im Trainingscamp in Estepona verfolgten einige zähneknirschend, wie sich TeBe-Libero Dejan Raickovic aus Montenegro mit Spielern des im selben Hotel untergebrachten jugoslawischen Landesmeisters Obilic Belgrad besonders gut verstand. Daß Raickovic bis 1992 im Trikot des FC Sarajewo auch gegen Obilic-Akteure spielte, bevor er mit einer bosnischen Frau und den beiden Kindern nach Deutschland flüchtete, schien plötzlich vergessen. Von TeBe-Coach Winfried Schäfer, der seinen Spielern vor dem Stuttgart-Spiel lediglich „körperliche Fitneß“ attestiert, wird einiges an psychologischem Fingerspitzengefühl abverlangt. Den mentalen Kitt, um potentielle politische Risse im Mannschaftsgefüge zu beheben, rührt Winnie bereits kräftig an. „Der Trainer führt viele Einzelgespräche“, verlautet aus dem Mannschaftskreis.
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