: Am Ende der Schlappheit steht der Doctor
■ Dr. Israel öffnet die Rhythmik für fremde Einflüsse und verschafft dem Dub eine nötige Stiltransfusion – jetzt tourt er zusammen mit Trumystic, den Beatrockers und Soothsayer
Reggae und vor allem Dub sind bekanntermaßen ja eher trantütige Veranstaltungen, die ihren Reiz ganz ausdrücklich daraus ziehen, daß die Musik schlapp ist wie eine durchgelegene Matratze. Daß das auch anders geht, beweist Dr.Israel, der zwar auch die gute alte Schlapphansmusike kann, aber irgendwie auch, aus dem notorischen WordSound-Universum kommend, mit Projekten wie dem Crooklyn Dub Consortium dem Genre vor allem eine doch mal wieder nötige Stiltransfusion verschafft hat.
Zugegeben, ein Mann wie Lee Perry hat das schon vor Jahrzehnten gemacht, und Dub als solcher war nie bekannt für ausgeprägtes Abgrenzungsverhalten, aber meist fügten sich die neu adaptierten Geräusche dann doch in einen unveränderlich scheinenden Dub-Kontext. Der Doktor ist einer der ersten, der nicht nur mit den heiligen Riddims intern experimentiert, sondern die Rhythmik selbst fremden Einflüssen öffnet.
Dabei schreckt er nicht davor zurück, die heimelige Atmosphäre eines stimmungsvollen Dub mit kalt-elektronischen Jungle-Ausflügen zu zerfetzen oder knallige Hard-Rock-Riffs dorthin zu mischen, wo gewöhnlich ein endlos verhallender Gitarrenakkord zu stehen pflegt. Kein Problem für Dr.Israel auch, HipHop oder Punk zu integrieren, die klassischen Verwandten wie Ska und Reggae fügen sich sowieso quietschvergnügt ein. Wenn Israel einen Ska-Klassiker wie „Armagideon Time“ zu neuem Leben erweckt, der Ende der 70er bereits von The Clash für den Punkrock adaptiert wurde, stellt er sich bewußt in eine Traditon, die weit über das Genre hinausweist, auch wenn er sonst gläubiger Rasta ist, vor jedem Auftritt die Bibel aufschlägt und den Spruch, auf den er dort zufällig stößt, zum Motto des Abends kürt.
Offene Grenzen, stilistisch und personell, propagiert auch sein Label Trumystic. Aus dem Stall kommen das Trumystic Soundsystem, Teile der Brooklyn Beatrockers und Soothsayer, die zusammen mit ihrem Chef jetzt auf Tour sind. Prinzipiell sind Namen allerdings nur Schall und Rauch, denn jeder spielt mit jedem und liefert beim Nachbarn noch den Special-guest- Auftritt ab.
„Zen Turtle“, das aktuelle Album von Soothsayer, demonstriert exemplarisch, was möglich wird, wenn man sich keine Sorgen um Regeln mehr macht: Fröhliches Flottieren zwischen Drum&Bass, TripHop und Breakbeats; ellenlange Deklamationen wechseln sich ab mit fast schon zu geschmäcklerischen Soul-Stimmen; hitverdächtige Einschmeichler werden gefolgt von eher hörspielartigen Experimenten und die wieder von strohtrockenem HipHop. Auch als MC läßt sich Soothsayer alle Möglichkeiten offen und auf keinen Stil festlegen. Wenn man auch hört, daß er vom spoken word kommt, kann er doch genauso rappen oder toasten. Alles ist möglich. Jedenfalls, solange es groovt. Das steht so sicher nicht in der Bibel. Als Motto für einen Auftritt unserer Freunde aus Brooklyn paßt es trotzdem. Thomas Winkler
Heute, Dr.Israel+Trumystic Sound System etc., 21 Uhr, Knaack, Greifswalder Straße 224
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