: Hundert Jahre Fernsehen
■ Zwei Wochen stand der „ZDF-Jahr100-Bus“ in Berlin: Guido Knopp sammelt Zeitzeugen wie andere Leute Briefmarken. Kritiker bemängeln Kitsch und Populismus – doch die Quote stimmt
„Und dann hat die Frau gesagt, das erste, was sie nach dem Mauerfall im Westen gesehen hätte, sei ein Hakenkreuz gewesen ... Das ist der Wahnsinn, was hier erzählt wird“ – Stefanie Peter genießt die Frühlingssonne und ist im Moment ein wenig aus dem Führerhäuschen. Dort, vorn im Sendewagen, hat die junge Journalistin ihren Stammplatz und protokolliert die Erinnerungen von Zeitzeugen historischer deutscher Ereignisse mit, die ihre Kolleginnen Barbara Bichler und Sonja von Behrens im buntlackierten ZDF-Mobilstudio mit der Aufschrift „Unser Jahr100 – Wir reisen durch Ihre Geschichte“ aufsammeln.
Seit fast einem Jahr tourt das Fahrzeug durch die Lande, seit zwei Wochen stehen die drei geschichtsbewußten Frauen am Berliner Bebelplatz, fast 60 Interviews haben sie gesammelt. Die bislang meist einstündigen Videoaufnahmen, die sie jetzt nach Mainz bringen, werden dann, aufs Wesentliche gekürzt, im November in der ZDF-Sendereihe „Unser Jahrhundert“ zu sehen sein. Peter freut sich schon: „Das wird eine Superdokumentation.“
Das mag mancher im Sender gern hören: Stefanie Peters Chef ist der ZDF-Historiker Guido Knopp, der von Kritikern immer wieder gern mit dem Vorwurf angeschossen wird, er verfälsche Geschichte oder verkaufe sie populistisch. Da braucht man gute Einfälle. Zum Beispiel den mit der „szenischen Dokumentation“ – nachgestellte Aufnahmen im Weichzeichner-Outfit, den Knopp schon in seiner TV-Doku-Reihe „Hitlers Helfer“ ausreizte. Oder eben das gigantische Videoarchiv zur deutschen Geschiche dieses Jahrhunderts, mit der Knopp Steven Spielbergs Idee des Sammelns von Zeitzeugenaussagen für die Shoah Foundation abkupferte.
Mit der Ankündigung, eine ähnliche Stiftung zur gesamtdeutschen Historie gründen zu wollen, bekommt er die O-Töne für seine Sendungen sogar umsonst.
„Geschichte muß stimmig und spannend vermittelt werden – wie ein Krimi“, sagt Knopp und weist die Kritik an seiner Arbeit zurück. Wenn man zu erfolgreich sei, werde man attackiert, das sei typisch deutsch. Sein Konzept baue auf Popularität und nicht auf Populismus, das komme an. Seine Sendereihe „Hitlers Helfer“ laufe in über 40 Ländern. Knopp: „Vorher hatte die BBC das Monopol, jetzt spielen wir mit.“ Der Mann träumt von einer „deutschen Videothek“: Bis zu 5.000 Interviews soll der Bus im Jahr einfahren. „Ein unschätzbarer Fundus. Menschen, die zum Beispiel die 30er Jahre erlebt haben, wird es ja bald kaum noch geben!“
Die sind allerdings zur Zeit gerade nicht en vogue. „Im Moment gibt es keine Fragen zum Dritten Reich“, erklärt Knopp-Mitarbeiterin Susanne Pohlmann. Soll heißen: Jetzt sind andere Daten von Bedeutung: Der 17. Juni 1953, Mauerbau und -fall.
Daran erinnert sich zum Beispiel Reiner Illing, Jahrgang 1941. 1959 flüchtete er aus der DDR. Um 40 Jahre später übers Hintertreppchen vorbei am Regietisch, auf dem sich Dutzende von Bändern mit Aufschriften wie „M. Birthler“ stapeln, als gutgelaunter Chemie-Lehrer mit Strubbelkopf das kleine Aufnahmestudio des „Jahr100-Busses“ zu entern. Abtupfen, fertig. Dann beantwortet der Mann aus Berlin-Rudow die einfühlsamen Fragen der Interviewerin. „War das nicht ein Schock, als plötzlich die Mauer gebaut wurde, wie war das für sie?“
Illing war stocksauer. Er sei von der Familie getrennt, Westberlin zur Insel degradiert worden. Von der DDR habe er nie viel gehalten. „Die 40-Jahr-Feier, das war doch alles nur noch Hokuspokus.“ Es folgte die Pleite. Aber daß die Mauer jemals hätte fallen können, sei für ihn unvorstellbar gewesen.
Dann der 9. November 1989: „Ich hatte gerade das Haus renoviert, die Decke gestrichen und mich gerade vor den Fernseher gesetzt. Da kommt Schabowski: Alle können rüber. Ich habe durchs ganze Haus gebrüllt: ,Die Mauer ist auf!‘“ Da sei wohl der ganze Schmerz rausgekommen, bringt es Sonja von Behrens auf den Punkt.
Illing ist ein lebhafter Erzähler, das macht sich gut beim Thema Zeitgeschichte. Die Westberliner hätten schmerzlich ein Umland vermißt, fährt er fort. Wer sich eine Urberliner Wohnung ansieht, weiß, was gemeint ist: Die Eingeborenen sehnten sich so sehr nach Grün und Wald, daß sie die eigenen vier Wände mit Holztäfelungen benagelten oder Fototapete mit Bäumen aufpappten. Illings Fazit: „Ich wünsche mir, daß die Menschen, die sich getrennt fühlen, endlich zusammenfinden und die heruntergewirtschafteten Bezirke wieder aufgebaut werden.“
Wo kriegt man solche Sätze her? „Viele Leute kommen von selbst“, sagt Sonja von Behrens. „In Dresden – wir führten Interviews zum Thema ,Feuersturm‘ – wurden wir regelrecht belagert.“ Man sei aber bemüht, sorgfältig auszuwählen. Manche Zeitzeugen werden gezielt über Stiftungen oder Archive gesucht. Wie Illing, der sagt, er sei in der Gedenkstätte des ehemaligen Auffanglagers Marienfelde registriert: „Da hat mich dann eine von der Girl Troop hier angesprochen.“
Über Empfehlungen kamen die Knopp-Girls auf der Suche nach der deutschen Oral History an den 69jährigen Kurt Frotscher aus Hennigsdorf, 30 Jahre lang bei der DDR-Grenz-Troop. Und der hält Knopps Helferinnen eine Geschichtsstunde, wie sie nicht im Buche steht.
Frotscher spricht von den Ereignissen, die er bestens mit seinen biographischen Erfahrungen zu verknüpfen weiß – ein Glücksfall, der sich später sicher als interessanter Schnipsel in Knopps Histo-Reality-TV wiederfinden wird. Es sei damals die Aufgabe der Warschauer Vertragsstaaten gewesen, die innerdeutsche Grenze zu schützen, so Frotscher. In der Politik müsse man für klare Verhältnisse sorgen. Von der unsicheren Lage sei schließlich Kriegsgefahr ausgegangen. Der Ex-Grenzer kann mit Detailkenntnissen aufwarten: Man habe die Grenzanlagen schlagartig absichern müssen, dazu seien Hunderte Tonnen Stacheldraht produziert worden. Die Begründung damals: Man wolle bestehende Anlagen neu einfrieden. Und Anekdoten kennt er auch. „Als die Mauer gebaut wurde, winkte uns von Westen herüber ein Mann euphorisch zu und gratulierte uns. Ich kann mir das nur so erklären, daß das ein Bäcker war, der kurz vor der Pleite gestanden hatte, weil die Produkte im Osten billiger waren. Dem hat die Mauer das Geschäft gerettet.“ Leider seien die Folgen des Mauerbaus – die Grenztoten – nicht kalkulierbar gewesen. Die Maueröffnung? „Nicht alle wollten, daß die DDR weg sollte.“
„Toll“, freut sich Barbara Bichler, „für mich ist das hochinteressant, ich stehe da mit offenen Augen und Ohren.“ Zu gern hätte sie selbst die historischen Augenblikke in Berlin erlebt, bedauert sie. Doch sie habe 1989 noch in München gesessen. Zeitzeugin ist sie dennoch geworden – auch wenn sie es gar nicht gemerkt hat. „Damals kamen die Verwandten aus dem Osten zu uns und blieben eine ganze Weile. Das ging ganz schön ins Geld.“ Jürgen Kiontke
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