: Auge, Mut und dicker Nacken
Leben in der Bundesliga (XX): Rugby ist hart und edel. „Je edler, desto weniger Zuschauer“, sagt Experte Fritz Feyerherm. Sein Berliner RC spielt unter Ausschluß der Öffentlichkeit ■ Von Markus Geling
Berlin (taz) – Spontan springt Fritz Feyerherm von der Bank auf, greift mit einer ganz selbstverständlichen Bewegung nach dem in der Ecke der Umkleidekabine stehenden Mülleimer. Dann klemmt er sich den blauen Plastikbehälter unter den Arm. „So“, sagt er und geht in die Hocke. „So muß ich beim Rugby den Gegner packen, wenn ich ihn tief halten will.“
Feyerherm (63) ist Studiendirektor, die Lehrerfahrung offensichtlich. Manch einer würde bei der Demonstration dieser Defensivtechnik skurril wirken. Doch Feyerherm – volles graues Haar, freundlich leuchtende Augen, schlanke bis knöcherne Figur, Bundfaltenhose, Turnschuhe – strahlt das natürliche Selbstbewußtsein des Experten aus.
Am 18. April 1935 wurde Feyerherm geboren – und gleich am selben Tag Mitglied des Berliner Rugby Clubs. Sein Vater meldete ihn an. Der Vater starb dann im Krieg, trotzdem fing Feyerherm als Zwölfjähriger mit dem Rugby an. Er wurde Nationalspieler, arbeitete beim Berliner RC später als Trainer und fungiert beim Vizemeister von 1989 heute als Vorsitzender. Selbst als Schiedsrichter hatte Feyerherm Erfolg, leitete vier Endspiele um die Deutsche Meisterschaft. Als Gymnasiallehrer (Sport, Griechisch, Latein) brachte er Rugby an die Schulen. Fünf AGs beliefern den Bundesligisten derzeit mit Nachwuchs.
Berlins gute Jugendarbeit ist die einzige Chance, sich gegen die Rugby-Hochburgen durchzusetzen. Die liegen traditionell in Hannover und Heidelberg, wo auch 1872 der erste Rugby-Club gegründet wurde. Zu erklären ist dies mit den damals ausgezeichneten Kontakten der beiden Städte zum Rugby-Mutterland England. Die Hannoveraner hatten wegen ihres Königshauses einen heißen Draht nach Großbritannien, die Heidelberger wegen ihrer Studenten.
Zur Entstehungsgeschichte des Rugby gibt es verschiedene Versionen. Beim Historiker Christoph Bausenwein ist nachzulesen, daß Fußball und Rugby gleiche Wurzeln haben. Seit Beginn des 14. Jahrhunderts waren in England „Football“-Spiele bekannt, bei denen ganze Dörfer gegeneinander antraten. Bei diesen Raufspielen mußte der Ball durch die Stadttore gebracht werden – wie auch immer. Das ging selten ohne schwere Verletzungen ab. Daher wurde diese Spielform verboten und starb aus. In den Public Schools wurde die ursprüngliche Spielidee jedoch weiterentwickelt, wobei sich zwei Grundformen herauskristallisierten: Das „Dribbling Game“ – der spätere Fußball, und das „Running Game“ – das spätere Rugby. 1871 wurde Rugby mit der Gründung der englischen Rugby Union verbandsmäßig organisiert.
Die Briten zählen noch immer zur Weltklasse. Wenn Irland, England, Schottland, Wales und Frankreich das traditionelle Five Nations Championship ausspielen, sind die Stadien ausverkauft, die Pubs überfüllt. Deutschland spielt international keine Rolle.
Der Berliner mit der größten internationalen Erfahrung ist Robert Hoffmann (28) mit 20 Länderspielen. Er fungiert beim BRC zusammen mit Bruder Peter (29) als Spielertrainer. Beide sind durch Feyerherms Schul-AG zum Rugby gekommen. Mittlerweile leitet Robert Hoffmann als angehender Physik- und Erdkundelehrer selbst eine AG. Den wesentlichen Nachteil gegenüber den großen europäischen Rugbyverbänden sieht er in der hierzulande fehlenden Leistungsdichte: „Es macht einen Unterschied, ob du 6.000 oder 60.000 Spieler hast.“ Hinzu kommt, daß ein Nationalspieler auf der Insel Profi ist. Demgegenüber bittet Robert Hoffmann, der die deutsche B-Lizenz und den walisischen Trainerschein hat, seine Jungs nur dreimal die Woche zum Training.
„Robert bringt alles mit, was ein guter Rugbyspieler braucht“, lobt der Vorsitzende. Er habe „ein gutes Auge, Mut und einen dicken Nacken“. Eigenschaften, die für einen Stürmer in der ersten Angriffsreihe besonders wichtig sind. In der zweiten Reihe spielen die großen, fangstarken Leute. In der Hintermannschaft schließlich ist Schnelligkeit gefragt. Unabhängig von der Position muß jeder Spieler einstecken und austeilen können. Nicht umsonst gilt Rugby als härtester Ballsport. In Neuseeland heißt es: „Alles, was auf dem Boden liegt, ist Gras.“ So passiert es nicht selten, daß sich einem Akteur beim Kampf um das Ei die Aluminiumstollen des Gegners schmerzhaft in den Rücken bohren.
Daraus abzuleiten, Rugby sei eine Disziplin für straßenkampferprobte Halbstarke, wäre jedoch falsch. Rugby gilt als Akademiker- Sport. „Wir haben in der Tat viele Studenten im Team“, sagt Feyerherm. „Die haben eine Schwäche für außergewöhnliche Sportarten.“ Ein weiteres Indiz für den Gentleman-Charakter des Spiels schiebt das Rugby-Urgestein gleich hinterher: „Je edler ein Sport, desto geringer die Zuschauerzahl.“ Womit er ein Problem der Bundesliga nennt: Sie findet fast unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Auch wenn das letzte Endspiel um die deutsche Meisterschaft zwischen dem DRC Hannover und Rekordmeister Victoria Hannover-Linden (20 Titel) 3.000 Zuschauer besuchten.
Fast alle Klubs plagen daher Geldsorgen. Die Berliner müssen einen Etat von 30.000 Mark decken – obwohl die Spieler keinen Pfennig verdienen. Aber die Logistik muß ja auch bezahlt werden. Damit die Vereine Fahrtkosten sparen, hat der Verband die Bundesliga reformiert, aus der eingleisigen eine zweigleisige gemacht. Die üblichen Verdächtigen aus Hannover und Heidelberg dominierten in der Vorrunde. Die jeweils drei besten Teams spielen nun um den Titel. Die übrigen, darunter der Berliner RC, rangeln mit den besten Zweitligisten um die Bundesliga-Qualifikation.
Der Berliner RC gilt nach gutem Start als Favorit. Auch wegen der guten Jugendarbeit. Das derzeit jüngste Mitglied ist Jonathan Maaser. Ein Junge, an dem Feyerherm seine Freude hat. Er wurde am 14. Januar angemeldet – am Tag seiner Geburt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen