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Aufbegehren gegen das Diktat aus dem Westen

■ Während die Regierungen in Rumänien und Bulgarien weiter auf Pro-Nato-Kurs sind, regt sich in der Öffentlichkeit verstärkt Widerstand gegen die Angriffe der Allianz auf Jugoslawien

Bei Serbiens Nachbarn geistern Horrorszenarien durch die Öffentlichkeit: „Wird die Nato nun – welchem Land auch immer – Autonomie und lokale Referenden aufdrücken und dem Sezessionismus einen Weg bereiten? Müssen wir uns damit abfinden, daß sich die Nato die Breschnew-Doktrin der beschränkten Souveränität angeeignet hat?“ Octavian Paler, ein bekannter rumänischer Intellektueller, spielt auf das Problem der ungarischen Minderheit in Siebenbürgen an. Und er sieht Rumänien nach vierzig Jahren sowjetischer Vorherrschaft nun unter der Knute eines neuen Imperiums: des Westens.

Sein Kommentar zum Nato- Angriff auf Jugoslawien, erschienen in der bürgerlich-liberalen Bukarester Tageszeitung Romania libera, ist symptomatisch für die Stimmung in Serbiens Nachbarstaaten Rumänien und Bulgarien. Offiziell streben beide Länder eine schnelle Nato-Mitgliedschaft an und nehmen am Nato-Programm „Partnerschaft für den Frieden“ teil. Die Regierungen und Staatspräsidenten Rumäniens und Bulgariens haben sich schon vor Beginn der Luftangriffe gegen Jugoslawien auf die Seite der Nato gestellt und der Allianz ihren Luftraum freigegeben. Doch diese Positionen teilen weder die parlamentarische Opposition noch die meisten Medien und die Öffentlichkeit in beiden Ländern.

Sowohl in Rumänien als auch in Bulgarien haben die großen, ex- kommunistischen Oppositionsparteien die Pro-Nato-Haltung ihrer Regierungen als „Gefahr für die nationale und regionale Sicherheit“ und als „unverantwortliche und übereifrige Handlungen gegenüber der Nato“ kritisiert. In Bulgarien sind laut Umfragen drei Viertel gegen den Nato-Angriff auf Jugoslawien, ähnlich wie in Rumänien. In beiden Ländern sollen bereits mehrere hundert Freiwillige in Richtung Serbien gezogen sein, um auf seiten der jugoslawischen Armee zu kämpfen.

In der Hauptstadt Bukarest und im nordwestrumänischen Timisoara demonstrierten in den letzten Tagen Angehörige der serbischen Minderheit mit Vertretern ultranationalistischer Parteien gegen den Nato-Angriff auf Jugoslawien und verbrannten amerikanische Flaggen. „Die Nato bringt Serbien der neuen Weltordnung als Opfer dar“, brachte vor einigen Tagen die bulgarische Tageszeitung 24 Tschassa die antiamerikanische Stimmung auf den Punkt.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Rumänen und Bulgaren sind frustriert, daß ihre Länder nicht in die Nato aufgenommen wurden, während die Regierenden doch unermüdlich prowestliche Gesten machen. Die Mehrheit in beiden Ländern ist wie die Serben orthodoxen Glaubens, im Falle der Bulgaren kommt außerdem die „slawische Geschwisterschaft“ mit den Serben hinzu. Und ähnlich wie in Serbien gibt es auch in beiden Ländern starke nationale Minderheiten: in Rumänien 1,6 Millionen Ungarn, in Bulgarien 600.000 Türken. Diese Minderheiten sind Ziel ständiger nationalistischer Propaganda.

Nicht zuletzt glauben viele Menschen in beiden Läendern auch, daß sich die Nato-Aktion gegen Jugoslawien nicht in Luftangriffen erschöpft, die einige Tage oder Wochen dauern. Sie fürchten, daß nach den exjugoslawischen Ländern weitere Staaten in Südosteuropa in einen langen Krieg hineingezogen werden. Immerhin hat Serbien entsprechende Drohungen gegenüber Rumänien und Bulgarien ausgesprochen.

Während solche Befürchtungen noch irreal scheinen, bekommen Rumänien und Bulgarien bereits die wirtschaftlichen Konsequenzen zu spüren: Serbien hält auf seinem Territorium rumänische und bulgarische Donauschiffe „gefangen“; Transportwege auf dem Land und in der Luft sind blockiert. Vor allem Bulgarien befindet sich deshalb „fast schon wieder in einer Embargosituation“, wie Ministerpräsident Ivan Kostow erklärte. Keno Verseck, Bukarest

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