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Schreiber und Krieger

■ Warum Intellektuelle manchmal besser schweigen sollten, weil sie sonst den Verstand verlieren

„Und dazu soll ich eine Meinung haben? Ausgerechnet eine Meinung?“ fragte der Schriftsteller Robert Menasse am Samstag in der FAZ, wo er die Widersprüche und Absurditäten eines Dauerbombardements im Zeichen der Menschenrechte in aller Kürze und Prägnanz auf die Spitze trieb.

Die Verweigerung einer Meinung ist das äußerste Mittel, zu dem ein Intellektueller sich entschließen kann, denn Intellektuelle gelten gemeinhin als Menschen mit universaler Zuständigkeit, die, falls sie einmal nichts zu sagen hätten, am besten gleich ganz abdanken. Doch im Krieg, so scheint es, kann die Artikulation des Schweigens durchaus eine Option sein, das ehrliche Eingeständnis, daß es eine „richtige“ Position nicht geben kann, wenn Fragen der Moral nicht mehr diskursiv erörtert, sondern mit militärischer Logik operativ durchgeführt werden.

Günter Grass wurde auf der Leipziger Buchmesse dennoch gefragt, was er vom Krieg halte, und konnte sich als Deutschlands berühmtester Intellektueller einer Antwort nicht enthalten. Denn das hätte man ihm nicht verziehen. Klüger als andere ist er in dieser Angelegenheit zwar nicht, aber immerhin ist er Grass, und so hat seine Ratlosigkeit, seine Kritik an der „übereilten Anerkennung“ Kroatiens und Sloweniens, am „ohnmächtigen Versagen der Politik“, am fehlenden Konzept und am „Herummogeln um die Notwendigkeit des Einsatzes von Bodentruppen“ der Nato einiges Gewicht: Es ist die Formulierung des common sense.

Darüber hinaus aber ist es Grass zu verdanken, Slobodan Rakitic, den Vorsitzenden des serbischen Schriftstellerverbands, zu einem „offenen Brief“ provoziert zu haben. Dieses Schreiben dokumentiert auf niederschmetternde Weise, was dabei herauskommt, wenn Intellektuelle zu völkischen Kriegsherren mutieren und sich von irritierenden Infragestellern in Propagadatrompeten mit nur einem Ton verwandeln. Grass habe „alle seine Bevollmächtigungen überschritten“ und „die deutsche Sprache und Kultur mißbraucht“, schreibt Rakitic, als sei es nur ihm erlaubt, eine Meinung zum Krieg zu haben.

Sein Brief ist ein Dokument intellektueller Selbstaufgabe, das statt Wahrheitssuche nur Selbstrechtfertigungen kennt. Sogar die albanische Geburtenrate taugt in dieser faschistoiden Perspektive zum Argument für die Gerechtigkeit der eigenen Sache.

Es fällt schwer, angesichts solcher Stimmen nicht reflexhaft in den großen Verderben-den-Serben-Chor der westliche Öffentlichkeit einzustimmen oder in den rührend hilflosen, beschwörenden Klagegesang, wie ihn kroatische und bosnische Intellektuelle anstimmen (siehe unten). Doch sogar ein Slobodan Rakitic hat ja noch ein kleines Fünkchen Restwahrheit auf seiner Seite, wenn er darauf hinweist, daß im Bosnienkrieg auch Serben vertrieben wurden. Das möchte man hierzulande nicht so gerne hören, und im Fernsehen ist vom Leiden der serbischen Zivilbevölkerung wenig zu sehen. Allenfalls in Nebensätzen ist zu erfahren, daß auch Serben im Kosovo auf der Flucht sind. So funktioniert die Logik des Krieges. Sie nimmt vom Denken und von der Öffentlichkeit wie selbstverständlich Besitz.

Der Streit um Peter Handke zeigt, wie sehr auch die Intellektuellen die Fassung verloren haben. Sie werden unduldsam gegen abweichende Meinungen und tönen um so lauter, je unsicherer sie sind. Handke selbst geht da schwungvoll voran: Zwar verzichtet er bisher darauf, seine Ankündigung wahr zu machen, sich in Belgrad solidarisch bombardieren zu lassen. Doch noch am Freitag bezeichnete er die Nato-Verantwortlichen markig als „Schlächter“. Der französische Philosoph Alain Finkielkraut – der seit seiner entschiedenen Parteinahme für Kroatien im Bosnienkrieg von manchen spöttisch Finkelkroat genannt wird – schlug mit der Begriffskeule „ideologisches Monster“ zurück und bezeichnete Handke als „revisionistischsten Autor deutscher Sprache“, aus dessen Äußerungen „das germanische schlechte Gewissen“ spreche. Susan Sontag sagte, Handke sei „in New York erledigt“. Milo Dor bescheinigte ihm, nichts von Politik zu verstehen, und für den albanischen Autor Ismael Kadaré ist Handke „vom rechten Weg abgekommen“. Jürg Laederach schließlich spricht von Handkes „fortschreitender geistiger Umnebelung“. Pardon wird nicht gegeben. Da mußte Verleger Siegfried Unseld auftreten und mahnen, die persönliche Meinung eines Autors zu achten. Er teile zwar nicht Handkes Position, trete aber dafür ein, „daß er bei uns in einem freiheitlichen Lande seine Meinung ausdrücken darf“.

Daß das nicht mehr selbstverständlich ist, daß die Toleranzschwelle so rapide abnimmt, ist das Erschreckende an der Debatte um den Krieg, die selbst immer kriegerischer wird. Intellektuelle allerdings sollten gerade jetzt auf die Selbstverständlichkeit hinweisen, daß Gerechtigkeit unteilbar ist und daß Wahrheit immer vom eigenen Standpunkt abhängt. Anstatt militärische Frontziehungen diskursiv zu verdoppeln, läge ihre Aufgabe darin, an deren Durchlässigkeit zu arbeiten. „Wenn es jetzt noch um Sieg geht, so nicht mehr um den der Nato, sondern nur noch um den der verfolgten Menschen – auf beiden Seiten“, schrieb Horst- Eberhard Richter gestern in der SZ – auch so eine unzeitgemäße Selbstverständlichkeit. Wer darin aber nur noch einen frommen Wunsch erkennen kann, sollte sich vielleicht wenigstens dazu durchringen, keine Meinung zu haben. Jörg Magenau

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