: Müllsound mit Charme
■ Talent kommt mit der Zeit: Thee Headcoats üben aus Prinzip nicht und spielen im SO 36
Für die Menschen, die mit dem Tempo von Billy Childish nicht mitkommen, also eigentlich für alle, hier der neueste Stand der Childish-Forschung: Mehr als 80 Langspielplatten, zwei bis drei Dutzend Singles und noch mal so viele Compilation-Beiträge, 1.500 Gemälde, mehrere Gedichtbände und zwei Romane hat der manische Arbeiter seit 1977 unter immer wieder wechselndem Namen produziert.
Nicht schlecht für jemanden, der von seiner Kapelle Thee Headcoats sagt, sie sei „nie sonderlich organisiert, keine sehr professionelle Band“ gewesen, und außerdem verkündet, daß man nicht unbedingt Talent braucht: „Wenn man genug Energie hat, kommt das Kreative später auch noch.“ In den schon mal zu Hause in vier Stunden auf einer einzigen Tonspur aufgenommenen Werken wirken die zwei, drei genialen Momente um so genialer, weil sie umgeben sind von der Sorte Lärm, die entsteht, wenn ein paar Leute vier Stunden zu Hause auf ihre Instrumente einprügeln und das auf einer Tonspur aufnehmen. Daß diese musikalischen Readymades keinen Grammy für die Produktion gewinnen werden, ist Konzept. „Es gibt keine bessere Sound- Qualität“, sagt Childish, „es gibt nur eine andere Sound-Qualität.“ So sind es denn auch nicht nur seine künstlerischen Errungenschaften, die Childish berühmt gemacht haben, sondern es ist vor allem die Attitüde, mit der er an die Kunstproduktion herangeht. Thee Headcoats üben aus Prinzip nicht. Und: „Ich war seit Urzeiten in keinem Tonstudio.“
Diese rücksichtslose Umsetzung des Punkgedankens, daß jeder Künstler sein kann, wenn er es nur laut genug will, hat ihm Bewunderung bei Kollegen eingetragen. Beck will zusammen mit ihm aufnehmen, Eddie Vedder erwähnt ihn in Interviews, und Nirvana gaben ihn als Einfluß an. „Ich mag es, wenn mich berühmte Leute mögen“, hat Childish dazu gesagt, „das ist amüsant.“
Dieselbe Attitüde hat ihn aber allzuoft das Publikum schlecht behandeln lassen. „Wir hatten keine Fans“, hat Childish einmal festgestellt, „einige wollten unsere Fans sein, aber wir haben sie abgeschreckt. Wir waren bekannt für Publikumsbeschimpfungen.“
Ausfälle, die der Ex-Wild Billy Childish dem Alkohol zuschreibt. Inzwischen ist er nicht nur zum militanten Teetrinker mutiert, hat das „Wild“ aus seinem Namen gestrichen und Besserung gelobt, sondern hat den tausendundein Variationen des immer gleichen Schrammel-Rock-'n'-Rolls aktuell doch mal eine halbwegs andere hinzugefügt. Er hat Thee Headcoats erweitert um drei Vokalistinnen, die Thee Headcoatees heißen, darunter seine Frau Kyra. Diese „Sisters of Soave“ übernehmen nun komplett sämtliche Sangeseinlagen und verschaffen dem gewohnten Müllsound unerwarteten Charme.
Doch schon längst arbeitet Childish an einer viel größeren, einer nahezu übermenschlichen Aufgabe: „Ich versuche eine Platte zu komponieren, die nur auf einem einzigen Akkord basiert. Das ist kein Picknick, kann ich euch sagen.“ Thomas Winkler
Thee Headcoats am 1. April um 21.30 Uhr im SO36, Oranienstraße 190, Kreuzberg
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