: "Man versucht, sich keine Sorgen zu machen"
■ Von den nationalen Verbänden abgesehen, reagieren Albaner und Serben in Deutschland routiniert auf die neuen Kämpfe zu Hause: Es ist schließlich nicht ihr erster Krieg. Wer Familie in Bosnien od
„Was wollen die denn jetzt mit unserer alten Fahne“, fragt Dušan empört beim Anblick des serbischen Demonstranten auf dem TV-Schirm, der ein blauweißrotes Tuch mit einem roten Stern in der Mitte schwenkt. „Die hätten sie 91 wegen Vukovar oder 92 wegen Sarajevo zeigen können – aber doch nicht jetzt!“ Für den 24jährigen Wahl-Berliner und geborenen Belgrader sind die derzeitigen Kundgebungen gegen die Nato-Luftschläge „nach acht Jahren Krieg, für die Milošević verantwortlich ist, der blanke Hohn“.
Dabei ist Dušan durchaus besorgt um Freunde und Verwandte in der alten Heimat. Telefoniert wird, wann immer es möglich ist. Vom Telefon weiß Dušan, daß in Serbien „vor allem die Kinder und die Alten Angst haben“. Was das deutsche oder serbische Fernsehen melden, glaubt er „schon lange nicht mehr“. Er selbst ist „ziemlich cool: Es ist schwer, aber man versucht eben, sich keine Sorgen zu machen.“ Dušan will sich nicht verrückt machen lassen: „Letztlich ist das zumindest für diejenigen, die Familie in Bosnien oder Kroatien haben, wie ein Déjà vu. 91 konnte ich wegen des Krieges in Kroatien nicht schlafen, 92 bis 95 wegen Bosnien. Offensichtlich gewöhnt man sich an alles.“
Seinen Nachnamen will der Student gerade wegen dieser Haltung lieber nicht in einer deutschen Zeitung lesen. Der Grund ist weniger Angst um die Verwandtschaft in Serbien: „Es ist wegen der Gastarbeiter. Die sind fast alle in nationalistischen Clubs organisiert, kennen sich und tratschen viel.“ Überhaupt seien die jugoslawischen Einwanderer in Westeuropa „die radikalsten Nationalisten – schlimmer als die zu Hause. Vor denen muß man sich in acht nehmen.“
„Offensichtlich gewöhnt man sich an alles“
Vor Beginn des Balkan-Krieges 1991 lebten rund 600.000 Jugoslawen in Deutschland. Anders als die heute noch etwa 90.000 Flüchtlinge aus Bosnien sind die Arbeitsimmigranten zu 90 Prozent organisiert, zunächst in gesamt-jugoslawischen Vereinen, seit 1991 getrennt nach Nationalitäten.
„Wir Serben sind friedliche, gastfreundliche Leute“, doziert Petar, während im Hintergrund der Satelliten-Fernseher Kriegsberichterstattung von TV Srbija überträgt. Der 53jährige, der seit mehr als 25 Jahren in Deutschland lebt, ist Mitglied des ehemals trans- jugoslawischen „Jugoslawischen Kultur- und Sportvereins“ in Berlin-Neukölln. „Das Problem sind aber nicht wir, die schon lange hier sind. Sorgen mache ich mir um meine Söhne. Weiß Gott, ob die nicht in dieser Situation jetzt auf dumme Gedanken kommen.“
Gerade hat der von Interpol weltweit gesuchte Milizen-Führer Željko Ražnjatović, genannt „Arkan“, im Fernsehen Bill Clinton angedroht, er werde ihn ermorden, wenn die Luftangriffe auf Jugoslawien nicht eingestellt werden. „Auf die Jungen haben die Gerüchte, der Klatsch und eben solche Ankündigungen schon eine starke Wirkung“, sagt Petar. Er selbst ist „relativ ruhig: Meine Frau ist Kroatin, wir kennen das Ganze also noch von 1991“.
Im Club „Bajram Curri“, gleich um die Ecke von Petars Verein, wird hektisch an Plakaten gemalt. Für heute ist eine Demonstration auf dem Ku'damm geplant. Doch angesichts von Hunderttausenden albanischen Flüchtlingen und der immer offensichtlicheren Erfolglosigkeit der Nato-Bombardements ändern sich ständig die Parolen: „Danke, Nato“ steht auf dem Plakat, das gerade in den Mülleimer gewandert ist. „Die Nato hatte keine andere Wahl“, meint Senol Ramadzić noch immer, „aber jetzt müssen Bodentruppen kommen.“
„Aber jetzt müssen Bodentruppen kommen“
„Fadil“ widerspricht: Angesichts der Massen von Landsleuten, die vor der serbischen Kriegsmaschinerie in die Berge an der albanisch- jugoslawischen Grenze geflohen sind oder ziellos durch das umkämpfte Kosovo wandern, müsse jetzt die Flüchtlingsproblematik in den Vordergrund gerückt werden. Der Mittzwanziger will seinen richtigen Namen nicht nennen: „Meine Eltern und Geschwister sind noch immer irgendwo im Kosovo“, erklärt er, „ich will sie nicht gefährden.“
Die kleine albanische Community in Deutschland steht vor riesigen Problemen: Im Gegensatz zu den Serben können die Kosovaren nicht auf eine Infrastruktur, die auf einer langen Immigrations-Tradition in der Bundesrepublik beruht, zurückgreifen. Ihr nach einem albanischen Nationalhelden aus dem Kosovo benannter Club besteht zwar schon 15 Jahre. Doch angesichts von gerade 1.000 Kosovaren in Berlin vor Beginn des Krieges auf dem Balkan war „Bajram Curri“ die meiste Zeit wirklich nichts weiter als ein Sing-, Tanz- und Sportverein. Heute leben rund 30.000 Albaner aus dem Kosovo in Berlin, bei „Bajram Curri“ sind 90 Prozent der Mitglieder Flüchtlinge. Und jeden Tag kommen neue an.
„Wir Albaner aus dem Kosovo hier sind mit der neuen Situation völlig überlastet“, meint Teki Temaj. Der 29jährige kam 1993 aus Prizren im Kosovo nach Deutschland und ist zur Zeit der einzige albanische Flüchtlingsberater in Berlin. „In unserer Beratungsstelle kommen derzeit bis zu 12 Menschen täglich an. Nicht nur Albaner, sondern auch Serben“, erzählt er.
Temaj hat nicht nur als Flüchtlingsberater viel zu tun: Seine Eltern haben es vor ein paar Tagen aus Prizren in die albanische Küstenstadt Durres geschafft. Nun sucht die Familie verzweifelt nach einer sicheren Überfahrtsmöglichkeit nach Italien, das angeboten hat, 25.000 Flüchtlinge aufzunehmen. „Aber in Albanien warten schon 80.000 Menschen, dabei kann das Land kaum seine eigenen Bürger ernähren.“ Albanische Menschenschmuggler nähmen mindestens 1.500 Mark pro Person für eine Überfahrt ins sichere Westeuropa.
Immerhin: Denjenigen Kosovo- Albanern, die es jetzt noch nach Berlin schaffen, kann Temajs Beratungsstelle zumindest Schlafplätze anbieten. Durch die erfolgreiche Rückführung der bosnischen Flüchtlinge ist es derzeit in Berlin kein Problem, einen Platz im Heim zu ergattern. Rüdiger Rossig, Berlin
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