: Agent Klaviateur
Der Sozialismus ist längst besiegt. Doch die USA behandeln Kuba noch immer, als drohe die Revolution auf Nordamerika überzugreifen. Weil der Mensch aber nicht ohne Musik und wohlklingende Pianos sein soll, verstößt der Klavierstimmer Benjamin Treuhaft hartnäckig gegen das Handelsembargo. Darauf steht bis zu zehn Jahren Knast ■ Von Kay Dohnke
Da sitzt er zwischen halbzerlegten Instrumenten im Underwater Piano Shop im kalifornischen Berkeley: Benjamin Treuhaft – der Klavierstimmer, der findet, daß der Mensch sein Dasein nicht ohne ein anständiges Piano fristen müssen sollte. Und zwar auch dann nicht, wenn es sich um das kapitalismusfeindliche Kuba handelt, das die USA noch immer mit einem Embargo bekämpfen.
„Ich verstehe nichts von Politik“, behauptet Treuhaft und tippt mit seinem Werkzeug die nächstbeste Klaviertaste an. Ihm gehe es einzig um die Musik, genauer um Pianos, und die seien im sozialistischen Inselstaat in einem jämmerlichen Zustand: tropischfeuchtes Klima, salzhaltige Luft und „fliegende Zimmerleute“, die Comejénes, also Termiten – dagegen sind weder Steinways noch Wurlitzer resistent! Treuhaft, der Klavierstimmer aus Passion, findet die Situation unerträglich. „Kuba ist das Land der Poesie und Musik, und wegen des Embargos sollen die jetzt ohne Klaviere sein?“
Nur Musik und keine Politik? Treuhaft grinst. Er weiß selbst, daß das unmöglich ist. Schon sein erster Trip auf das sozialistische Eiland war eine Provokation. Ein Freund in San Francisco – „Victor Charles, ein marxistischer Klavierstimmer“ – hatte ihm Geld hinterlassen, und so konnte er im Oktober 1993 in einer Aktion der Organisation Global Exchange nach Kuba fahren. Als illegaler Tourist. Denn auch wenn die amerikanischen Behörden die Kubareisen ihrer Bürger, sofern dies diskret geschieht, kaum noch strafrechtlich verfolgen, so ist es doch verboten. Der Inselbesuch verstieß gezielt und willentlich gegen ein US-Gesetz, das Reisen nach Kuba als „trading with the enemy“ klassifiziert und mit immenser Geldstrafe sowie bis zu zehn Jahren Haft bedroht.
Stärker noch als ein Empfang bei Staatschef Fidel Castro – „Ich hatte zwar ein schmutziges Hemd an, aber er hat mir doch die Hand geschüttelt“ – beeindruckte Treuhaft der erste Abend in der Hotelbar: Der Pianist brachte nur noch ansatzweise melodisches Geklimper hervor, und so verhalf der kalifornische Klavierstimmer dem Instrument mit seinen Schlüsselchen und Werkzeugen wieder zu Wohlklang. Das weitere läßt sich denken. Ob in der Hotelbar oder im Museo Nacional de la Musica in Havanna, ob wertvoller Flügel oder simpler Klimperkasten: überall fehlten Saiten, waren Hämmer zu justieren, hatten sich Resonanzböden gelockert, wackelten die Tasten. Der Beruf des Klavierstimmers ist auf Kuba ausgestorben. Und so verbrachte Treuhaft die Zeit ganz wie daheim: vor, hinter und in halbzerlegten Pianos, umgeben von Werkzeug – auf Kuba allerdings mit einem Gläschen Rum und einer Cohiba-Zigarre in Reichweite. Mit den Kubanern gab es eifrige Diskussionen. Natürlich nur und ausschließlich über Musik, augenzwinkert Treuhaft: „Afinar, no politico“ – Klavierstimmen, keine Politik.
Von da an besuchte Treuhaft immer wieder Kuba und kümmerte sich landauf, landab um Pianos. Und lernte dabei die bedrängte Lage der Inselbevölkerung kennen. „In Kuba“, sagt er, „kann man schon recht ärgerlich werden, wenn man ausgemergelte oder kranke Menschen sieht, und der Grund dafür ist die Politik deines eigenen Landes.“
Irgendwann stellten Treuhafts kubanische Partner dann die Frage: „Ben, unsere Klaviere fallen auseinander – was sollen wir tun? Selbst neue bauen?“ Da kam dem Klavierstimmer eine Idee. Schließlich hätten in den USA gebrauchte Pianos kaum Handelswert, und als Insider wisse er, wo welche aufzutreiben sind. Überhaupt stünde es um die Solidarität der US-Amerikaner mit Kuba nicht schlecht. Anfangs, so Treuhaft, halte zwar jeder die Insel für einen „Gefängnis-Staat“, doch „in weniger als einer Minute ändern die Leute ihre Meinung. Kuba ist hier sehr populär. Alle sind für die Aufhebung des Embargos.“ Nur die Regierung nicht.
In Berkeley startete Treuhaft die Aktion „Send a Piano to Havana“, brachte mit Konzerten kubanischer Musiker Geld zusammen, hortete ausrangierte Klaviere und Einzelteile. Zwölf Pianos sollten auf die Reise nach Havanna gehen, dort überholt und als Spende an Musikinstitute und Schulen verteilt werden. Ein realistischer Plan? „Leute hatten mich gewarnt, die schon mal vergeblich Rollstühle nach Kuba senden wollten. Kein US-Bürger darf etwas an eine staatliche Einrichtung auf Kuba schicken, aber dort sind eben alle Organisationen staatlich.“
Treuhaft ließ sich davon nicht entmutigen. Ganz naiv stellte er einen direkten Antrag auf Exportgenehmigung bei der zuständigen Abteilung im Außenministerium. Sein Ersuchen landete schließlich beim State Department in der Abteilung für Nuklear- und Waffentechnologie. Wo es vermutlich sehr lange unbearbeitet geblieben wäre. Doch inzwischen hatte Treuhaft einen Artikel über die desolaten Klaviere auf Kuba geschrieben und Spendenaufrufe an Kollegen geschickt (“Als Scherz waren Nixon-Briefmarken draufgeklebt“).
Von diesem Schritt bekamen bald mehrere Zeitungen Wind, und sogar die exil- kubanische Szene in Florida fand an der Sache Gefallen. So klingelte eines Tages Treuhafts Telefon, und ganz unbürokratisch und ohne lange Diskussionen bewilligte die Behörde seinen Exportantrag. Mit einer Auflage: Er müsse sicherstellen, daß seine Spende nicht „zum Zwecke der Folter oder der Verletzung der Menschenrechte“ verwendet werde.
Aus allen Gegenden der USA schickten Kollegen Material, und manchmal kamen Schecks: „Danke, daß du das Embargo gebrochen hast. Hier sind zehn Dollar.“ Schließlich standen nicht nur ein Dutzend, sondern 126 „Pianos for Havana“ bereit. Dazu hatten sich Unmengen von Saiten, Hämmern und Tasten angesammelt.
Stolz begleitete Ben seine Fracht, beizte in Havanna die Gehäuse ab, justierte Hämmerchen und spannte neue Saiten ein. „Vielleicht“, sagt Ben, „ist die Aktion doch mehr als nur eine Zeitungsgeschichte – vielleicht kann's die Leute verwirren, die diese blöden Gesetze gemacht haben.“
Doch Behörden lassen sich nicht gern verwirren. Statt der Klaviere wurde nun der Klavierstimmer zum Problem gemacht. Denn günstigerweise gibt es ja noch immer das Gesetz, das Kubareisen verbietet: „Trading with the enemy.“ Flugs verhängte man für Treuhafts Reisen eine Geldstrafe von 10.000 Dollar. Die Summe konnte Ben zwar auf ein Drittel runterhandeln (“Ich hab' denen auch angeboten, statt dessen die Klaviere im Weißen Haus zu stimmen“), doch es blieb eine Warnung. Sollte er noch einmal nach Kuba fahren, und das habe er ja vor, drohe ihm die Höchststrafe: zehn Jahre Gefängnis sowie 1,3 Millionen Dollar Geldstrafe.
Da er seine Aktionen fast ohne Geld realisiert, schrecken ihn hohe Summen nicht wirklich. Und gegen Drohungen helfen Tricks: Wenn Menschen nicht nach Kuba reisen dürften, aber Instrumente, sagte er sich, dann reise ich eben als Klavier. Und weil ganz zufällig die Presse davon erfuhr, standen die Fotografen Schlange, als der zum „menschlichen Piano“ gewandelte Treuhaft das nächste Mal Richtung Havanna abflog.
Nach Havanna fliegen – das lief nicht immer glimpflich ab. 1996 drangen Exilkubaner aus Protest gegen Castro mit kleinen Maschinen in den kubanischen Luftraum ein. Und wurden von der Luftwaffe des Inselstaates abgeschossen. Für die US-Regierung war dies der Anlaß, die gegen Kuba gerichteten Bestimmungen zu verschärfen: das Helms-Burton-Gesetz wurde im US-Senat ein Abstimmungserfolg. Es schreibt das Embargo gegen Kuba bis zur Entmachtung Castros fest.
Treuhaft nahm es gelassen. Inzwischen hatte er den Underwater Piano Shop nach New York verlegt, und dort machte ihn noch etwas ganz anderes als Gesetze wütend: Direkt gegenüber der kubanischen UN-Mission hieß die Straßenecke 38th Street und Lexington Avenue nach der Anti-Castro-Bewegung „Brothers To The Rescue Corner“ beziehungsweise „Hermanos Al Rescate Equina“ – inklusive Schreibfehler. In Treuhafts Augen eine Beleidigung. Und so kletterte er eines Nachts mit schwerer Ausrüstung plus Akkusäge den Pfosten hinauf.
Direkt unterhalb des Schildes befindet sich ein Wachhäuschen der Polizei, und die Säge machte argen Lärm. Im Handumdrehen stand ein Polizist unter ihm und fragte, aus welchem Irrenhaus er denn abgehauen sei. Am Ende der Debatte meinte der Beamte: „Wenn du das Schild unbedingt herunternehmen willst, tu es bitte nicht während meiner Schicht.“
Da sich das Vorgehen mittels Säge als zu laut erwiesen hatte, kam Treuhaft eine bessere Idee. Er lud Pro-Kuba-Aktivisten zur „öffentlichen Korrektur eines Schildes“ ein. Die Hilfsmittel: ein Schälchen roter Farbe und eine Malerrolle am zwei Meter langen Stil. In weniger als einer Minute erstrahlten beide Seiten des Schildes in neuem Glanz, waren aber leider, leider absolut unleserlich geworden. Die zufällig anwesenden Presseleute konnten nach der Malaktion auch gleich Treuhafts Verhaftung beobachten. Doch eine amüsierte Richterin ließ ihn schon bald ohne Kaution wieder frei.
Mittlerweile hat Treuhaft auch eine internationale Klavierstimmerbrigade gegründet, weitere Pianos warten auf den Transport nach Havanna, und Benefizabende spielen Geld für Ersatzteile ein. Auf Kuba hat er eine Firma gegründet, die Helms-Treuhaft Piano Bassstring Company, in der Klaviersaiten hergestellt werden. Wie Senator Jesse Helms wohl diese Namensgebung findet?
Mit Politik hat das nichts zu tun. Treuhaft zeigt seine Visitenkarte. Als Beruf steht da: Agent Provocateur. An eine drohende 1,3 Millionen-Dollar-Strafe hat er wohl nicht gedacht, als er sie schon vor Jahren drucken ließ.
Kay Dohnke, 41, lebt als freier Journalist in Hamburg und schreibt über Literatur, Zeitgeschichte und Reisen.
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