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Das Paradies auf Erden

Wieso üben Gärten eine solche Faszination aus? Sie sind weder ganz Kultur noch ganz Natur. Die Landschaftsgärten der Renaissance in Italien sind nicht einfach nur schön anzusehen. Sie sind der Inbegriff alles Menschlichen – in seinen unglaublichsten Schattierungen  ■ Von Martin Hager

„Im Herzen wohnt ein unaufhörlich Sehnen,

zu wogen in des Südens Farbentanze,

Berauscht im Blütenstaub der Pomeranze,

Hinwegzufliegen auf wollustvollen Tönen.“

Mag dieses Gedicht von Otto Heinrich von Loeben noch so kitschig klingen, es drückt ein Gefühl aus, das seine Gültigkeit bis heute nicht verloren hat – nicht nur bei der Toskana-Fraktion: die Sehnsucht nach dem Süden.

Bei Viterbo in der Nähe von Rom gibt es zwei Gärten. Beide stammen aus dem 16. Jahrhundert. Der eine ist perfekte Ordnung, der andere perfektes Chaos.

Der Garten der Villa Lante in Bagnaia, auf mehreren Stufen angelegt, ist atemberaubend schön. Der Blick des Besuchers – von der mittleren Terrasse abwärts – fällt auf exakt zugeschnittene geometrische Heckenformen, in der Mitte ein Brunnen, dahinter die Dächer des Ortes Bagnaia. Die Blätter leuchten grün, das Wasser glitzert. Der Inbegriff der „germanischen Italiensehnsucht“, wie sie seit dem 18. Jahrhundert besteht: die Wärme des südlichen Lichts, das seit Goethe noch jeden Nordländer faszinierte, die Perfektion eines formalistischen Gartens, der Landschaft zur architektonischen Meisterleistung macht, die Dauerhaftigkeit des Gartens, der aus vergänglichen Pflanzen besteht und doch immer gleich bleibt.

Der „Heilige Wald von Bomarzo“ ist eine Landschaft des Schreckens. Nicht umsonst wird er auch Monsterpark genannt. Überlebensgroße Figuren aus Stein stehen ohne erkennbare Ordnung in einem Wald: eine riesige Schildkröte, ein Elefant, der mit dem Rüssel einen römischen Soldaten zerdrückt, ein Titan, der dabei ist, einen anderen zu zerreißen, eine überdimensionale Monsterfratze, in deren offenem Maul ein Tisch steht. Alles ist mit Sinnsprüchen versehen. Der Park ist eine Fundgrube für Psychoanalytiker und Surrealisten. Dali war begeistert, er sah darin eine Vorwegnahme surrealistischer Vorstellungswelten. Und mehr oder weniger wissenschaftliche Studien, die das Phänomen des Gartens und die Psyche seines Schöpfers enträtseln wollen, gibt es zuhauf.

Wieso üben Gärten eine solche Faszination aus? Sie sind weder ganz Natur noch ganz Kultur. Und sie sind „lesbar wie ein Buch“, wie John Dixon Hunt, führender Theoretiker der Gartenkunst, meint. In der christlich-jüdischen Tradition ist der Garten der Inbegriff des Paradieses schlechthin. Doch Adam und Eva haben der Menschheit dieses Paradies verdorben. Außerhalb Edens ist Natur nicht mehr ideal, das Paradies selbst ist trotz unablässiger Suche unwiederbringlich. Nicht einmal die Südsee, im 18. Jahrhundert die große Hoffnung auf ein irdisches Paradies, hielt, was sie versprach. Das mußte selbst ihr treuester Anhänger, der Maler Paul Gauguin, feststellen, als er Ende des vergangenen Jahrhunderts Frankreich endgültig den Rücken kehrte. In seinen späteren Bildern malt er selbst den so ursprünglichen Tahitianerinnen Zigaretten in den Mund.

Wenn das Paradies nicht wiederzufinden ist, bleibt noch die Möglichkeit, es neu zu schaffen, das nicht perfekte Land zum perfekten Landschaftsgarten umzugestalten. „Land“, heute Symbol für Ruhe, Erholung, Muße, Frieden, war ursprünglich ein rein politisch- rechtlicher Begriff. Der Feudalherr des Mittelalters besitzt das Land, der leibeigene Bauer bearbeitet es. Die Perspektive ist rein pragmatisch. Was nicht genutzt wird, ist gefährlich. Im Wald, da sind die Räuber oder Wölfe.

Aber dann kommt die Renaissance. Sie kommt zuerst in Italien. Natur, bisher Feind des Menschen, wird zur ästhetischen Kategorie, Land zur Landschaft. Die Natur ist selbst das, was bisher nur die Kultur hervorbrachte, nämlich Kunst. Pittoresk, wie gemalt eben.

Das ist der entscheidende Schritt in die Neuzeit. Die Geburt der Ästhetik. Der Zivilisationstheoretiker Norbert Elias drückt es, etwas geschraubt, so aus: „Die Natur wird – gemäß der steigenden Bedeutung, die das Auge mit der wachsenden Affektdämpfung als Vermittler von Lust erlangt – in hohem Maße zu einer Augenlust, und die Menschen oder, genauer gesagt, zumeist und vor allem die an Städte gebundenen Menschen, für die Feld und Wald nicht mehr Alltag, sondern Erholungsraum sind, werden empfindlicher, sie sehen das offene Land differenzierter in einer Schicht, die zuvor den Menschen durch Gefahr und das Spiel der ungedämpften Leidenschaften verdeckt war.“

Natur ist schön. Insbesondere schön anzusehen. Natur allein reicht aber nicht lange aus. Sie ist nicht perfekt. Gott schuf das Paradies. Der Mensch der Renaissance schuf den Landschaftsgarten. Er dient bis heute der Zurschaustellung von Schönheit, von der Schönheit der Form, die der Mensch der Natur gibt. Das Pendant der Form aber ist der Inhalt. Die zwei müssen nicht übereinstimmen, aber sie korrespondieren. Daher rührt die Faszination der Gärten von Bagnaia und Bomarzo: Anmut der äußeren Form und Chaos des inneren Zustands, Formalismus und Manierismus.

Fürst Vicino Orsini, Schöpfer des Gartens von Bomarzo, und Kardinal Gambara, Auftraggeber des Gartens der Villa Lante, stehen für zwei Seiten der Renaissance. Glanzvolle Repräsentation einer selbstbewußten Zeit auf der einen Seite, verstörte Seelenlandschaften innerer Ungewißheit auf der anderen Seite.

Der Park von Bagnaia strahlt die neue glanzvolle Macht italienischen Herrschertums aus. Der Kardinal war ein mächtiger Mann. Der Macht, die er in Rom hatte, entspricht die Opulenz, die seine Villa vor Rom ausstrahlt. Vita activa in der Stadt, Vita comtemplativa auf dem Land.

Zentrales Element des Gartens ist das Wasser, das Symbol des Lebens. Es kommt aus einer künstlichen Quelle an der höchsten Stelle, fließt schnell sprudelnd herab, dann langsamer über eine Furche, die in einen enormen Steintisch eingegraben ist. Hier konnten die Würdenträger ihre Mahlzeit einnehmen, das Wasser diente zur Kühlung der Getränke. Sinnenfreude par excellence.

Ganz anders der Eindruck, den Bomarzo hervorruft. Es ist schwer, sich auf Anhieb mit dem monströsen Wirrwarr der Steinfiguren abzufinden. Nichts von der Leichtigkeit und Schönheit der Villa Lante, nichts von deren ästhetischer Raffinesse. Aber Orsini ging es auch nicht darum, mit äußerlicher Schönheit zu beeindrucken. Er will den Betrachter zwingen, hinter die Fassade der Perfektion zu blicken. „Wer nicht mit hochgezogenen Augenbrauen und angespannten Lippen diesen Ort durchschreitet, dem wird es an Bewunderung gebrechen für die Weltwunder an sieben Stätten.“ So eine Inschrift in dem Garten.

Hier scheint die dunkle Seite der Renaissance durch. Der Epoche schien es möglich, die Natur zu perfektionieren, sie durch menschlichen Eingriff zu übertreffen. In Bomarzo drückt sich der Verlust dieses Selbstvertrauens aus. Die Welt ist nicht zu begradigen. „Manierismus“, so der Kunsttheoretiker Gustav René Hocke, „ist der Drang nach dem Absonderlichen, nach dem Exklusiven, nach Extravaganz, nach dem Verborgenen jenseits und innerhalb der natürlichen Wirklichkeit.“ In Fürst Vicino Orsini verkehrt sich der individualistische Drang der Renaissance nach Repräsentanz. Nicht auf die Darstellung von äußerem Glanz, sondern von inneren Abgründen des Menschlichen zielt sein Garten.

So etwas hat in der gehobenen Gesellschaft keine Zukunft. Die formalistischen italienischen Gärten entwickeln sich weiter zu den opulenten französischen Parks wie in Versailles. Bomarzo bleibt für sich. Erst in der Romantik mit ihrem Sinn fürs Schaurige bricht eine ähnliche Haltung durch: „Was nicht unmerklich entstellt ist, wirkt kühl und empfindungslos... Das Unregelmäßige, d.h. das Unerwartete, die Überraschung, das Erstaunen, stellt ein charakteristisches Merkmal des Schönen dar.“ So der Dichter Charles Baudelaire. Die Ästhetik hat verschiedene Gesichter.

Soweit die Geschichte. Die Gegenwart ist eine eigene. Der Besucher verläßt den Garten der Villa Lante. In Italien scheint nicht immer die Sonne. Aber wenn sie scheint, gibt sie die nötige Wärme, um sich von der Welt faszinieren zu lassen, von der Natur und der menschlichen Leistung – wenn auch nur für einige Momente. Eine bleibende Erinnerung.

Claudia Lazzaro: The Italian Renaissance Garden. From the Conventions of Planting, Design and Ornament to the Grand Gardens of Sixteenth-Century Central Italy. Yale University Press, New Haven & London 1990, 341 S. (in gut sortierten Bibliotheken)

Monique Mosser, Georges Teyssot: Die Gartenkunst des Abendlandes. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1993, 544 S., 180 Mark

Gustav René Hocke: Die Welt als Labyrinth. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1987, 560 S., 168 Mark (der Klassiker zum Manierismus)

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