Die netten Jungs von nebenan sind weg

■ Die Gefangennahme von drei US-Soldaten an der makedonischen Grenze löst in den USA mehr Patriotismus als Nachdenken aus

Sie sind überall: Auf den Titelseiten der Tageszeitungen prangen ihre Bilder und die ihrer weinenden Eltern, in den Wohnzimmern flimmern ihre Gesichter über die Bildschirme: Andrew Ramirez, Christopher J. Stone und Steven Gonzalez, die drei in Serbien gefangenen US-Soldaten. In ihrer Heimat sind sie dieser Tage mehr als das: Sie sind die netten Jungs von nebenan, nach Aussagen von Familie und Freunden in den Medien „fröhlich“, „gutaussehend“, „wahre Christen“ und immer wieder: „richtige Amerikaner“.

Die Häuser und Schulen in ihren Heimatorten sind mit gelben Schleifen und amerikanischen Flaggen übersät, Teenager binden sich Schleifen an ihre Fahrräder, in den Kirchen wird für die Soldaten gebetet. Die Gefangennahme dreier Landsleute löst bislang in den USA eher einen Sturm des Patriotismus aus als ein Nachdenken über den Sinn und den Preis des Krieges. Selbst nahe Angehörige betonen, daß sie weiterhin die Luftangriffe der Nato unterstützen und Mike Downey, Kommentator der Los Angeles Times schickt eine Botschaft an alle Amerikaner, die noch gegen ein US-Engagement sind: Jetzt gehe es um „mehr als einen gewalttätigen Konflikt“: „Es geht um die Rettung von Ramirez, Gonzalez und Stone.“

Die Szenen erinnern an den Film „Wag the dog“, in dem der US-Präsident die Gefangennahme eines Soldaten medienwirksam inszeniert – mit Erfolg. Dennoch ist die aktuelle Lage für Präsident Bill Clintons öffentlichen Rückhalt nicht ungefährlich. Denn „die Vorstellung von eigenen Verlusten ist bislang theoretisch gewesen“, meint Don Ferree vom Roper-Institut der Universität Connecticut, „jetzt geht den Menschen auf, daß wir es hier mit einem echten Militäreinsatz zu tun haben und nicht nur mit einem Videospiel“.

Clinton schwor nach Bekanntwerden der Gefangennahme postwendend, „nicht zu ruhen, bis die Männer wieder zu Hause sind“ und drohte dem serbischen Präsidenten: „Die Vereinigten Staaten kümmern sich um ihre Leute.“ Slobodan Milošević sei persönlich für die Sicherheit der drei gefangenen Soldaten verantwortlich. Gleichzeitig kündigte Clinton an, die Luftangriffe würden „mit aller Entschlossenheit“ fortgesetzt. Nicht alle Zeitungen jubeln dazu wie die Los Angeles Times. Für die New York Times etwa verdeutlichen die „zunehmenden Rückschläge“ im Kosovo, „daß es keinen militärischen Blitz-Sieg für die USA geben wird“ und „militärische Ziele in der Innenstadt Belgrads zu bombardieren, wird den drei Amerikanern nicht helfen“. Und die Washington Post läßt sich von den aktuellen Ereignissen nicht abhalten, in ihrer gestrigen Ausgabe einen kritischen Kommentar zu Clintons Haltung zur Lewinsky-Affäre zu drucken. Allerdings: „Dies alles sollte für den Präsidenten derzeit zurück stehen.“ Daß die drei Soldaten vollkommen unschuldig festgenommen wurden, steht auch für die Washington Post außer Frage – selbst wenn sich herausstellen sollte, daß sich diese auf serbischen Gebiet aufhielten. Denn, so Korrespondent Daniel Williams, an der „schlecht definierten Grenze“ gibt es zur Markierung „weder Zaun noch Schild“. Und das Gelände „ist so feindselig wie seine serbischen Bewohner“. Heike Dierbach