: Die Kasperl vom Heldenplatz
Unseren täglichen Skandal gib uns heute: Hans Kresnik inszeniert an der Wiener Burg „Wiener Blut“. Österreich einmal mehr als kunterbunte Real-Operette – kein Tabubruch, aber immerhin ein Spaß ■ Von Cornelia Niedermeier
Ganz Österreich war von jodelnden Älplern annektiert. Ganz Österreich? Nein, in einem mächtigen Gebäude am Ring, direkt gegenüber dem Rathaus, widerstand eine wackere Gruppe Unverzagter tapfer dem Lodenwahn. Ihr Häuptling hieß Peymannix. Und hin und wieder holte er Verstärkung aus der Hauptstadt der Germanen...
Immer noch schreiben wir das Jahr 13 der „Ära Peymann“ am Burgtheater. Immer noch das unwiderruflich letzte einer „Ära“, die in den vergangenen Spielzeiten bereits recht versunken vor sich hindämmerte. Nun aber gilt es – immer noch und immer wieder – einen Schlußpunkt zu setzen, einen hübschen Eklat, den Kreis zu runden, an dessen anderem Ende der Heldenplatz-Skandal huldvoll die Hand zum Kuß darreicht. Allein, der Skandal, er will nicht recht. Wenngleich die bewährte Maschinerie des Burgtheaters läuft wie ein feingeöltes Präzisionsuhrrädchen: Hans Kresnik war geladen, wie einst Thomas Bernhard ein verlorener Sohn der Alpenrepublik, just aus dem wilden Kärnten, wo unlängst der Rechtsextrempopulist Jörg Haider 42 Prozent der Wahlfähigen hinter seinem Leinenjanker versammelt hatte.
Kresniks choreographisches Theater dürfte Wiener Theaterbesuchern kaum bekannt sein, lediglich mit „Macbeth“ und „Francis Bacon“ gastierte er in den vergangenen Jahren bei den Tanztheaterwochen. Allein man munkelt. Ein Revoluzzer, Blut und Sperma, und in Frank Castorfs Volksbühne beheimatet. Und nun eine Produktion, betitelt „Wiener Blut“, im Jubeljahr des Johann Strauß... Da war es ein Leichtes für die Damen der Presseabteilung, mit geschickt plazierten Inseraten das heiß geliebte Sensationsfeuer zu entfachen: 20 Gebißträger wurden per Printmedien gesucht, bereit, ihre Drittzahngarnitur auf der Bühne zu lüften. Ferner: Kinderwagen. Dann: junge Frauen, zwecks Nacktauftritt. (Spätestens hier konnte man stutzig werden. Noch jede Produktion fand ihre nackten fünf Statistinnen, ohne in der Zeitung inserieren zu müssen. Oder ist das Burgtheater schon so keusch?). Zuletzt: Flatulanten gesucht. Zu deutsch, täglich hört man den Begriff ja nicht: Kunstfurzer, um den Radetzkymarsch ins Zuschauerrund zu hauchen.
Echte Schweine sollte es geben und eine echte Berühmtheit: Richard Lugner, Ex-Baumeister, Ex- Bundespräsidenten-Kandidat in Eigenregie und alljährliche Opernballsensation mit Gästen wie Sarah Ferguson oder Sophia Loren. Lugner sollte sich selbst spielen, einen Haupt-Society-Akteur in der vorzuführenden Real-Operette Österreich. Jahrmarkt war angesagt, Spektakel, vielleicht auch Skandal. Kresnik rief, und alle, alle kamen: 60 Akteure verzeichnet der Programmzettel, Schweine, Lipizzaner und Mozartkugeln nicht mitgezählt.
135 Minuten lang rauschen die österreichischen Toten und Untoten in einer orgiastischen 29-Szenenflut an den Sinnen des Publikums vorbei: eine BUNTE-Welt der ganz normalen Perversion: Sissi und Arnold Schaumgummi Schwarzenegger, knipsende Touristen und – „Ingeborg, wat is?“ – Bachmann, Romy „am glücklich sten war ich immer, wenn ich allein war“ Schneider und Udo „Schiffsversenker“ Proksch.
Anfangs in einem hellen Holzkasten, auf einem Teppich aus Millionen von Mozartkugeln. Später hebt sich der lichte Kubus, die Kugeln verschwinden, schwarze Kanalrohre ergießen in Marin Zehetsgrubers schlicht-klarem Bühnenraum – der Dritte Mann läßt grüßen – den verborgenen Unrat: die Naziverdränger schreiten in Originalzitaten, gesammelt von Uschi Otten, zur Verdrängung: Kurt Waldheim, Herbert von Karajan und erstmals Paula Wessely: Kresnik ließ eine Szene des Nazifilms „Heimat“ flimmern, in dem die Burgdoyenne mit sanfter Stimme von den seligen Zeiten träumt, wo nicht, „wenn du in ein Geschäft kommst, jeder jiddisch redet oder polnisch“. Die Ensemble-Vertretung der Burg, angeführt von Wessely-Tochter Maresa Hörbiger, protestierte. Es gibt sie noch, die Wiener Tabus. Der Rest allerdings ist Spektakel. Die Monster vom Heldenplatz taugen nur noch zum Kasperl. Es darf gelacht werden. Kein Skandal also, aber trotzdem ein Spaß.
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