: Dieser auffällige Mut zur Neurose
David Sedaris ist Amerikaner, überzeugter Kettenraucher und auf Gleichberechtigung achtender Menschenhasser. Von „positive thinking“ hält er nichts. Weil sein Adreßbuch so dünn ist, hat er ein Buch geschrieben: „Nackt“ – und das ist erstaunlich lustig ■ Von Brigitte Neumann
David ist der Junge, der Besenstiele ableckt („Das Berühren von Objekten stillte einen geistigen Juckreiz.“) und zwanghaft immer die gleiche Schrittfolge absolviert. Er ist einer von denen, die nachts zehnmal nachgucken, ob das Mayonnaiseglas auch wirklich geschlossen ist. Und der darauf wartet, bis er endlich unbeobachtet seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen kann: „Ich gewöhnte mir an, brutal mit dem Kopf zu wackeln, von dem Gefühl aufgestachelt, welches mein Hirn hervorrief, wenn es gegen den einengenden Schädel schwappte.“
David hat ein halbes Dutzend Schwestern, eine Mutter mit „krustigen Zehennägeln“, die sich rauchend mit ihren Perücken ins Bett legt und ihrer verflossenen Schönheit nachträumt. Und einen Papa, der ein widerlicher Golffanatiker in Unterhosen ist. Kein Wunder, daß David schwul wird. David ist immer fast ganz unten, aber nur fast. Er berichtet von den Kellergängen seines Lebens und wirft auch einen hämisch-liebevollen Blick in die anderer Leute. Und seine Enthüllungswut hat etwas durchaus Amerikanisches. David ist David Sedaris, Held der autobiographischen Kurzgeschichtensammlung „Nackt“. Geschichten mit erstaunlich viel Mut zur Neurose.
Sedaris, der Wahl-New-Yorker, der in North Carolina großgeworden ist, hat die meiste Zeit seines Lebens als Krankenpfleger und Putzmann gearbeitet. Er war Weihnachtsengel in einer Shopping Mall und Apfelpflücker auf einer Industriefarm. Erst ziemlich spät hat er gezeigt, was er sonst noch kann: Schreiben und Vorlesen. Vorlesen ist seine neue Lieblingsbeschäftigung. Am liebsten im National Public Radio, so einer Art amerikanischer Deutschlandfunk, und dann liest er aus seinen Tagebüchern vor. Darin stehen Beobachtungen über Alltäglichkeiten, die jeder sieht, aber keiner bemerkt.
Außer Sedaris. Zum Beispiel die Fingernägel der New Yorker Kassiererinnen. „Ich weiß nicht, wie diese Frauen sich die Zähne putzen, wie die überleben mit dieser Behinderung. Die Fingernägel sind so lang, daß sie sich vorn einrollen. Das ist, wie ohne Hände leben. Und das tun die freiwillig.“ Sedaris spricht zögerlich, manchmal bricht, manchmal zittert seine hohe Stimme. Er ist Kettenraucher.
David Sedaris' Sechs-Minuten- Sendungen sind seit Jahren Kult. Die dollsten Spekulationen wucherten bereits, wer denn der Mann mit den seltsamen Geschichten sei. Das Gerücht ging um, David Sedaris sei ein zwergenwüchsiger Mann mit großem Kopf und rinderdicker Zunge. Seit der 42jährige New Yorker berühmt geworden ist, seit er mit seinen Bestseller-Geschichten auf Lesereisen geht, seit er in Talkshows auftritt, seither wissen die Leute, daß David Sedaris nichts dergleichen ist. 1,70 Meter groß, blasser Teint, saubere Kleidung, akkurater Haarschnitt. Also: ganz normal.
Aber das paßt ihm überhaupt nicht. Wieso? Normal ist so nahe an Null. David Sedaris liebt das Abstruse, Übertriebene, Eklige. Und er liebt Zigaretten. „Da sind die Amerikaner hysterisch. Ich werde regelmäßig ausgebuht, wenn ich bei meinen Lesereisen übers Rauchen spreche. Die Leute sind, glaube ich, nur so fanatisch, weil sie gemerkt haben, daß gegen harte Drogen nichts zu machen ist. Dann suchen sie halt ein einfacheres Ziel. Und das ist die Zigarette. Dieses ganze Scheingefecht macht mich noch wahnsinnig.“
In Paris, wo Sedaris gerade lebt, ist das anders. Da darf er auch beim Arzt rauchen. Ansonsten findet der 42jährige die Franzosen ein bißchen zugeknöpft. Konversation liegt ihm nicht. Außerdem macht ihm die Sprache zu schaffen. Weil sein Freund, ein französischer Maler, ein Ferienhaus in der Normandie gekauft hat, drückt er jetzt jeden Tag die Schulbank einer Sprachenschule.
Neulich gab's Hausaufgaben. Sedaris und seine Mitschüler sollten eine kleine selbsterdachte Geschichte aufschreiben: „Ich hab' siebzehn Stunden dran gesessen. Aber nur, weil ich jedes Wort nachschlagen mußte. Die Lehrerin las dann meine Geschichte vor. Nur meine. Aber nur weil sie allen beweisen wollte, daß ich ein Frauenhasser bin. Ich sagte: Nein. Ich bin kein Frauenhasser. Ich hasse alle Menschen. Gleichberechtigt. Alle.“ Dann räuspert er sich, als wäre er erschrocken über das, was er da gesagt hat. Und murmelt unter sich: „Ach, stimmt nicht, ich hasse sie nicht richtig. Ich weiß nicht. Ich bleib' halt lieber zu Hause. Ich lese lieber was über Leute. Und manchmal hab' ich auch nichts dagegen, mit ihnen zu reden. Aber meistens guck' ich sie mir lieber an.“ Und nach einer weiteren Pause: „Weißt du, mein Adreßbuch ist einfach nicht besonders dick.“
David Sedaris kann dem amerikanischen Credo des „positive thinking“ nichts abgewinnen: „Ich lebe in New York, wo jeder seinen Analytiker hat. Und wo jeder sich über seinen Analytiker beschwert. Die Leute zahlen eine Menge, um ,positive thinking‘ zu lernen, und sie geben sich viel Mühe, aber es wird einfach nichts. Wie auch?“
Sedaris, der sich nicht „Schriftsteller“ nennen will, akzeptiert jetzt immerhin die Berufsbezeichnung „Typist“ – ein Sekretär seiner eigenen Einflüsterungen. Letztes Jahr bezeichnete er sich noch als Putzmann. „Aber ich habe meinen Putzjob aufgegeben, damit ich mehr schreiben kann. Es ist hart für mich, ohne festen Job zu sein, denn dann weiß ich tagsüber gar nicht, wo ich hingehen soll. Ich schreibe immer nur nachts. Jetzt habe ich die Schule, wo ich ein paar Stunden am Tag auftauchen muß. Und wenn ich nicht komme, fragen sich die Leute, wo ich bleibe. Es ist gut, sowas zu haben. Andernfalls könnte es passieren, daß ich tot in meiner Wohnung liege, und niemand merkt etwas davon.“
Unwahrscheinlich, daß ihm das an seinem derzeitigen Aufenthaltsort in Frankreich passieren könnte, denn auch hier ist sein Buch „Naked“ erschienen. Ende der Anonymität. Ende des Fast- ganz-unten-Lebens. Erfolg verändert. Und manche der Veränderungen findet David Sedaris überhaupt nicht erfreulich: „Mein Dad, der mir immer gesagt hat, ich würde es zu nichts bringen, ich würde meine Zeit verschwenden ... womit ich gut leben konnte ... dieser Mann ist stolz auf mich, seit dieses Buch draußen ist. Ich konnte gut damit leben, daß er sich für mich schämte, aber sein Stolz ist absolut unerträglich. Er ruft meinen Sender an und will, daß sie meine Sendungen wiederholen. Er geht in Buchläden, packt einen Stapel meiner Bücher und legt sie ins Schaufenster. Es ist einfach furchtbar. Ich wünsche mir, er würde sich weiter für mich schämen.“
David Sedaris: „Nackt“. Aus dem Amerikanischen von Harry Rowohlt. Haffmans Verlag, Zürich 1999, 352 Seiten, 39 DM
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