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„Das ist ein Genozid an unserem Volk“

Angesichts Tausender hilfesuchender Kosovo-Albaner wachsen in Makedonien die Spannungen zwischen slawischen und albanischen Makedoniern. Die Regierung pokert mit dem Elend der Vertriebenen  ■ Aus Skopje Erich Rathfelder

Die Dramatik an den Grenzen Makedoniens zum Kosovo ist nicht mehr zu überbieten. Weiterhin stauen sich die Menschenmassen jenseits der Genze, die nach wie vor nur wenige passieren können. Wegen des Wassermangels schreite die Dehydrierung fort, steige die Todesrate, warnen Ärzte, die an der Grenze die erschöpften Menschen empfangen. „Das ist ein Genozid an unserem Volk“, sagt Rrok Berisha, ehemaliger Fernsehreporter aus Prishtina. Er hat es mit seiner Familie in das deutsche Flüchtlingslager geschafft. „Es ist die Hölle dort. Erst wurden die Menschen durch die serbische Polizei geschlagen, ausgeraubt und vertrieben, jetzt werden sie hier so unwürdig behandelt.“ Die Makedonier verhielten sich ähnlich arrogant gegenüber den Albanern wie die Serben, auch die makedonische Polizei schrecke nicht vor Übergriffen zurück.

Angesichts der Fernsehbilder von der Grenze kann Dimitri P. sich ein Lächeln nicht verkneifen. Er ist Koch in einem der slawisch- makedonischen Restaurants in Tetovo. „Es kommt der Regen und spült die ganze Scheiße fort“, sagt er. Und meint die Aktion der serbischen Sicherheitskräfte, die Vertreibung der Albaner. Offen sagt er nicht, daß er ein Sympathisant Milošević' ist. Doch seine Haltung ist klar. „Auch hier werden die Albaner verschwinden müssen. Dies ist unser Land.“

Die Spannung zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen wächst. Die slawisch-makedonische Mehrheitsbevölkerung outet sich mit dem Fortgang der Ereignisse. In den makedonischen Dörfern um Tetovo werden Fahrzeuge der Nato mit Steinen beworfen. Deutsche Aufklärungsfahrzeuge, deren Besatzungen von einem makedonischen Dorf aus die Grenze beobachteten, wurden wegen der Proteste der slawisch-makedonischen Bevölkerung dort zurückgezogen. Ihr neuer Standplatz ist ein albanisch-makedonisches Dorf.

Die westlichen Gebiete Makedoniens, von Tetovo bis zu der Stadt Ohrid, sind die traditionellen Siedlungsgebiete der Albaner, in der Stadt Tetovo gehören 70 Prozent der Bevölkerung der albanischen Volksgruppe an, 20 Prozent sind Makedonier und 10 Prozent Roma und Türken – es gibt wie im Kosovo noch rund 60.000 türkischsprechende Menschen hier. In der Hauptstadt Skopje ist eine Balance zwischen den beiden großen Bevölkerungsgruppen erreicht, im Osten und Süden sind die Makedonier in der Mehrheit. In und um Kumanovo, das an der serbischen Grenze liegt, gibt es eine starke serbische Bevölkerungsgruppe.

Die albanische Bevölkerung verhält sich äußerst solidarisch zu den Kosovo-Flüchtlingen. Wer bisher über die Grenze gekommen ist, konnte bei albanischen Familien in den albanischen Siedlungsgebieten unterkommen. Die Verteilung der Flüchtlinge wurde durch die Albaner selbst organisiert. Die Kapazitäten sind jedoch jetzt erschöpft. Manche Familien haben 30 Flüchtlinge aufgenommen.

Wahrscheinlich sind schon 100.000 Flüchtlinge im Land. Mit den 200.000, die an der Grenze warten, müßten 300.000 Menschen aufgenommen werden. „Wir gehen davon aus, daß noch weit mehr Menschen kommen würden, wäre die Grenze zum Kosovo offen. Nach Albanien sind vielleicht 400.000 geflohen, nach Montenegro 100.000, es müssen also noch rund eine Million Menschen im Kosovo sein, von denen noch Hunderttausende kommen würden, ließen die Serben sie am Leben“, sagt ein Mitarbeiter des albanischen Roten Kreuzes.

Angesichts dieser Flüchtlingsmassen hat die makedonische Regierung am Donnerstag die Schließung der Grenzen verfügt und seither nur wenige Vertriebene durchgelassen. Denn in den Augen der slawischen Makedonier würden 300.000 Albaner zusätzlich die Bevölkerungsmehrheiten zugunsten der Albaner umkehren.

Deshalb fordert die Regierung die Verteilung der Vertriebenen. Und pokert mit dem Schicksal der an der Grenze Wartenden. Hinter den Kulissen wird um die Quoten gerungen. Premierminister Ljupco Georgjevski fordert zudem umfangreiche humanitäre Hilfe.

Und die Mittel werden wohl lockergemacht. Gestern hat Deutschland mit 19 Flugzeugen an die 300 Tonnen Hilfsgüter ins Land gebracht. Die Nato baut Flüchtlingslager, auch die Schweiz will eines mit Plätzen für 20.000 Menschen errichten. Jetzt sind es schon acht Lager, die über eine Gesamkapazität von 45.000 Plätzen verfügen werden. US-Marines sollen zudem noch ein riesiges Flüchtlingslager bei Tetovo bauen.

Daß die makedonische Regierung die Vertriebenen an der Grenze zurückhält, hinterläßt jedoch psychologiche Spuren bei den Albanern. „Wenn das hier erst mal bewältigt ist, werden wir die Konfrontation nicht mehr scheuen“, sagte kürzlich ein bekannter albanischer Politiker. Im Gegenzug werfen die slawischen Makedonier den Albanern vor, UÇK-Kämpfer ins Land zu schleusen.

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