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Nächtliche Abreise von der Grenze wider Willen

■ Über Nacht werden Zehntausende Kosovo-Flüchtlinge vom makedonischen Grenzort Blace aus in Drittländer, wie Albanien, gebracht. Das Schicksal der im Kosovo Zurückgebliebenen ist weiter ungewiß

Wie weggezaubert sind die schätzungsweise dreißigtausend Kosovo-Albaner, die noch am Abend zuvor am Grenzübergangsort Blace auf ihren Grenzübertritt nach Makedonien warten mußten. Am Morgen ist die Wiese leer. Nur noch Müll und Planen liegen herum. Busse aus Skopje haben die Menschen nachts in die fünf Kilometer entfernten Lager entlang der Straße nach Skopje gebracht.

Auf den Hügeln rund um das ehemalige Lager Blace sind serbische Truppen aufgezogen. Deutlich sind 12 Panzer zu erkennen, Artilleriestellungen werden ausgehoben, durch das Fernglas sind sogar Raketenstellungen zu sehen. Humanitäre Helfer, die jetzt ihr Gerät in den Lastwagen verstauen, gehen davon aus, daß lediglich der Kopf der Menschenschlange über die Grenze kommen durfte. Die weiter hinten auf jugoslawischen Gebiet befindlichen Menschen sind offenbar von serbischen Soldaten aufgefordert worden, nach Kosovo zurückzukehren. Wahrscheinlich mußten also jene Zehntausende, die während der letzten Tage von der makedonischen Seite aus nicht einmal mit Wasser und Lebensmitteln versorgt werden konnten, umkehren und sind der serbischen Soldateska ausgeliefert.

Alle humanitären Helfer und selbst die Nato-Sprecher waren überrascht über die Aktion der makedonischen Behörden, die zunehmend unter Druck geraten war, die humanitäre Katastrophe abzuwenden. Die Nato hatte am Freitag begonnen, Zeltstädte aufzubauen. Gestern waren es 44 Flugzeuge, die Lebensmittel und Gerät nach Makedonien brachten.

Die Menschen wurden nicht darüber informiert, wohin sie gebracht wurden. So erzählen es die Betroffenen übereinstimmend. Dutzende von Bussen sind zudem in Richtung Debar, zur albanischen Grenze gefahren. Die Menschen – vielleicht sind es 5.000 – wurden nach Augenzeugenberichten dann gezwungen, die Grenze nach Albanien zu überschreiten. Damit wurde das umgesetzt, wovon makedonische Politiker schon vor Jahren gesprochen hatten: Bei einem Flüchtlingsansturm aus dem Kosovo sollte ein Korridor nach Albanien gebildet werden.

Am Montag hatte Premierminister Ljupco Georgievski die Weltpresse kritisiert und von Propaganda vor allem der Fernsehgesellschaften CNN und BBC gegen seinen Staat gesprochen. Makedonien, so der Premierminister, habe mit den kriegerischen Auseinandersetzungen nichts zu tun, stehe zwar hinter dem Abkommen von Rambouillet, könne aber angesichts der Flüchtlingsproblematik nicht allein gelassen werden. Erst wenn die anderen Länder, vor allem die EU, feste Zusagen für die Übernahme von Vertriebenen machten, könne das Flüchtlingsproblem gelöst werden.

Die Zusagen sind offenbar erfolgt. Auf dem Gelände des Flughafens der Stadt Skopje werden Gruppen von Vertriebenen zusammengestellt. Die ersten Flugzeuge sollten gestern nachmittag nach Deutschland starten. „Etwa 600 Menschen werden nach Nürnberg gebracht“, erklärte ein Sprecher des deutschen Kontingents. OSZE-Mitarbeiter stellen die Listen zusammen. Es sei darauf zu achten, daß Familien zusammenblieben, erklären sie.

Doch oft passiert das Gegenteil. Bilali S. sitzt in einem Zelt auf dem Flugplatz, seine Frau und die Kinder sind schon in Skopje bei Verwandten untergekommen. Jetzt kann er die Zeltstadt nicht mehr verlassen und wartet darauf, ins Ausland gebracht zu werden. Doch er will zu seinen Angehörigen. Verweinte Gesichter zeigen, daß es einigen hier so geht. „Meine Frau und Kinder sind mit einem Bus abgefahren und vielleicht jetzt in Albanien. Ich weiß nichts mehr von ihnen“, sagt ein Mann.

Immerhin ist es gelungen, Zehntausende von Menschen zu retten. Makedonien hat jetzt Zusagen für die Aufnahme der Vertriebenen in Drittländer erhalten. Das ist sicher ein politischer Erfolg für das Land, doch ein Unbehagen bleibt. Viele Beobachter meinen, daß die leidenden Menschen dazu benutzt wurden, politisch Druck zu machen. Das Schicksal der ins Kosovo zurückgetriebenen oder dort noch lebenden Menschen bleibt zudem ungewiß. Der Transport von Tausenden nach Albanien bringt Skopje zudem ins Zwielicht. Geschah er gegen den Willen der Leute, dann wäre dies eine zweite Deportation. Trotz ständiger Beteuerungen der Nato-Sprecher, die Nato sei nur Gast und dankbar, hier operieren zu dürfen, wird die Kritik an der makedonischen Regierung lauter. Erich Rathfelder, Skopje

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