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Die Serbendebatte – eine Geisterdebatte

■ Friedensdemos werden nicht von nationalistischen Serben dominiert. Medien bauschen das auf

Die Berichterstattung über die Proteste gegen den NATO-Einsatz vermittelt den Eindruck, als seien die Friedensbewegten unfähig, die veränderte Weltlage zu akzeptieren und zu verarbeiten. Gerade die Ostermärsche hätten gezeigt, daß Pazifismus weltfremd sei, da sich Pazifisten noch nicht einmal gegen nationalistische Vereinnahmung durch Serben wehren könnten.

Die ehemaligen Friedensbewegten stünden dagegen angesichts der von serbischem Militär verübten Grausamkeiten heute hinter „der friedlichen Maßnahme mit militärischen Mitteln“. Demokraten müßten gemeinsam gegen die Menschenrechtsverletzungen mit „Friedenserzwingungsmaßnahmen“ handeln. Jeder, der sich dieser Erkenntnis verweigere, stehe dem Frieden im Weg.

Deshalb muß man aus dieser Sicht unterstellen, die Friedensbewegung würde permanent instrumentalisiert. Letztlich soll damit dann der Beweis angetreten werden, daß die Friedensbewegung aus naiven Spinnern besteht, mit deren Argumenten man sich nicht befassen muß.

Unser Problem ist es nicht, wenn auf der Demonstration auch Serben teilnehmen. Nicht alle Serben sind Nationalisten, diese Unterstellung wird in den Medien nur transportiert, um die Friedensbewegung zu diskreditieren. Wie auf jeder Demonstration laufen Leute mit, deren politische Positionen wir in keinem Fall teilen. Aber die Demonstration bestand doch nicht zum wesentlichen Teil aus serbischen Nationalisten, das ist Unfug.

Trotzdem bin ich der Meinung, daß in der Demonstrationsvorbereitung zuviel an nationalistischer Serbenfreundlichkeit praktiziert wurde. Künftig sollte man darauf achten, etwa die Liste der Redner sorgfältiger zusammenzustellen. Es geht um eine klare Haltung der Friedensbewegung sowohl zur Nato als auch zu dem Krieg der jugoslawischen Regierung.

Im Kern aber muß sich die Friedensbewegung radikal darum bemühen, neue und effiziente Strukturen aufzubauen, die es ermöglichen, den rasant entstehenden neuen Konfliktszenarien, die mit dieser Form von Nato-Einsatz Realität werden, adäquat zu begegnen. Zukünftig werden es weniger die ethnischen Konflikte sein. Vielmehr stehen bald die knapper werdenden Rohstoffreserven der Welt zur Disposition, und dann beginnt eine neue Ära des Kampfes: Jeder gegen Jeden. Wenn es bis dahin nicht gelungen ist, vernünftige Konfliktlösungsmechanismen zu entwickeln und anzuwenden, wird die Frage nach der Instrumentalisierung die Wichtigkeit erlangen, die ihr gebührt. Die Medien sind zur bedeutenden Waffe geworden, um deren Anwendung und Zielsetzung insbesondere durch Militärs gestritten wird. Die Frage nach der Instrumentalisierung stellt sich also weniger der Friedensbewegung als vielmehr den Medien. Wenn man bedenkt, was mit der weltweiten Ausweitung der NATO-Einsätze ansteht, ist die Serbendebatte doch eine Geisterdebatte.

Christian Herz

Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär

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