Kommentar: Armselig
■ Die CDU hat Angst vor 220 Flüchtlingen
Man muß sich die Dimensionen noch mal vor Augen halten: Deutschland will nur 10.000 Flüchtlingen aus dem Elend von Hunderttausenden im Kosovo Zuflucht gewähren– die Millionen-Metropole Berlin wird davon 220 aufnehmen. Bei 23 Bezirken bedeutet das, daß jeder Stadtteil ungefähr zehn, nur zehn Menschen unterbringen muß. Doch selbst das ist drei CDU-Kreisverbänden schon zuviel. Sie appellieren an den Senat, von dieser Flüchtlingsflut aus zwei Handvoll Kosovaren verschont zu bleiben.
Das ist armselig. Keine Frage, gerade diese Innenstadtbezirke haben von den etwa 15.000 Bosnienflüchtlingen, die noch in der Stadt leben, einen Großteil aufgenommen, während andere Bezirke, etwa Zehlendorf, von dieser Bürde weniger zu tragen haben.
Wer aber Angst schürt, daß zehn Flüchtlinge mehr pro Bezirk ins Gewicht fallen könnten, der hat jedes Maß verloren. Offenbar ist die Provinzialität und die Kiezfixiertheit in Teilen der Hauptstadt-CDU so weit vorgedrungen, daß man glaubt, auch noch den niedrigsten und leisesten Ängsten der Stammtische folgen zu müssen.
Zwar sagen die CDU-Provinzfürsten, sie befürchteten, daß Berlin noch mehr Flüchtlingen zugeteilt bekommen könnte, aber dafür gibt es keine Hinweise: Es ist klare Bundes- und EU-Politik, möglichst wenig Flüchtlinge nach Westeuropa zu bringen. Und selbst wenn fünfmal so viele Kosovaren in die Stadt, offiziell oder inoffiziell, kommen sollten und länger als die anvisierten drei Monate blieben, könnte das die Hauptstadt ohne große Probleme verkraften – immerhin gab es hier ja auch mal 10.000 mehr Bosnier.
Anstatt sich über 220 Kosovaren aufzuregen, sollte sich die CDU in den Kiezen deshalb besser dafür engagieren, daß die Flüchtlinge hier in Berlin leichter integriert werden. Bayern ist das geglückt, indem der Freistaat ihnen im Gegensatz zu Berlin erlaubte, hier zu arbeiten. Diesen Flüchtlingen fiel dann auch die Heimkehr leichter als den zur zwangsweisen Untätigkeit verurteilten Flüchtlingen der Hauptstadt.
Aber um das zu verstehen, müßte man eben mal über den Tellerrand seines Kiezes hinausschauen. Viele in der CDU sind dazu offenbar nicht fähig. Philipp Gessler
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