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Wetterbarometer in der Wärmehalle

■ Manche sitzen strickend im Foyer, andere essen in der Mensa: Die Stammgäste der Uni

Sie trägt einen grauen Rock, dazu einen Ringelpullover in grellbunten Farben und eine Lederjacke. In gebückter Haltung sitzt die alte Frau auf einer Bank neben der Heizung in der Eingangshalle der Münchner Hochschule für Philosophie – und tut so, als wäre sie nicht da.

„Sie ist unser Wetterbarometer“, meint Jennifer, „wenn es kalt ist oder regnet, sitzt sie bei uns im Foyer und strickt.“ Jennifer studiert seit drei Semestern an der Hochschule und hat sich wie ihre Kommilitonen an die Präsenz der alten Dame gewöhnt. „Sie spricht nicht, sie bewegt sich kaum. Sie ist einfach nur da.“

Einfach nur da: Das trifft auf viele zu, die sich an deutschen Universitäten aufhalten. Gemeint ist nicht die virtuelle Präsenz der Scheinstudenten – die sind zwar korrekt eingeschrieben, doch keinesfalls da –, sondern die Anwesenheit all derer, die an den Hochschulen weder studieren noch mitarbeiten. Denn nicht nur die kleine Münchner Hochschule kennt dieses Phänomen: „Tagsüber kann eben jeder rein“, sagt Anne Morgener, Pressesprecherin der Berliner Humboldt-Universität. „Und das ist gut so“, bekräftigt sie, „denn die Uni ist schließlich ein öffentlicher Ort.“

Ernstzunehmende Probleme hat ihr diese Einstellung bisher nie beschert. Morgener erinnert sich zwar an den Exhibitionisten, der vor ein paar Jahren für Furore gesorgt hat. Doch der war ein Einzelfall und wurde vom Wachdienst hinauskomplimentiert. Grundsätzlich, so Morgener, würden auch Obdachlose toleriert, „solange sie nicht versuchen, in den Räumlichkeiten der Uni zu übernachten“.

Diesen Worten kann sich ihre Kollegin Kristina Zährges von der Technischen Universität Berlin anschließen. Wie an der Humboldt-Unversität (HU) ist auch an ihrer Unversität die Schmerzgrenze erreicht, „wenn jemand mit Sack und Pack kommt und hier schlafen möchte“. Der alte Mann, der in der Ecke des Betriebsrestaurants der HU seinen Tee anschaut, ist hier Stammgast. Schon seit Jahren. Das Personal glaubt, daß er eine der Kellnerinnen in sein Herz geschlossen hat.

Der Wandel von der Studentenspeisung mittels Gulaschkanone hin zur Verköstigung mit Bistro- Charakter steigert die Attraktivität der Uni-Mensen nicht nur für Obdachlose und Studenten. Auch Angestellte von umliegenden Betrieben mischen sich zu kulinarischen Zwecken längst unter das Studentenvolk. Angelockt werden sie vor allem durch die Preise. Wer in der Mensa an der Berliner Hardenbergstraße unweit vom Bahnhof Zoo keinen Studentenausweis vorzeigen kann, bekommt die ausgewählten Speisen zum Preis für Hochschulangehörige. Und der liegt immer noch spürbar unter dem sonst üblichen Preisniveau für ein Mittagessen. Das Angebot ist vielfältig und schließt vegetarische Gerichte mit ein.

Daß die Nähe zum Bahnhof Zoo viele nichtstudentische Gäste mit sich bringt, nimmt Hans Jürgen Fink zwar in Kauf; der Geschäftsführer der Berliner Mensen versichert jedoch, daß Zielgruppe Nummer eins die Studenten seien. Zielgruppe Nummer zwei besteht aus den Mitarbeitern der Hochschulen.

Hätte Fink nicht diese eindeutigen Prioritäten, würde er steuerlich in Schwierigkeiten kommen. Da das Mensaessen subventioniert wird, holt sich quasi jeder unberechtigte Mensagast auf unlautere Weise staatliche Unterstützung ab. Doch solange sich der dadurch entstehende Schaden in Grenzen hält, lohnt es sich laut Fink kaum, strengere Kontrollen durchzuführen.

Die kleine Universität in München hat weder eine Mensa noch einen Wachmann. Im Winter kochen die Studenten schon mal selbst, dafür steht ein kleiner Saal mit Küche zur Verfügung. Dorthinein hat sich die alte Dame mit ihrem Strickzeug allerdings noch nicht getraut. Pünktlich vor dem Abschließen verläßt sie mit den letzten Studenten das Gebäude. Im Unterschied zu diesen allerdings mit unbestimmtem Ziel. Andreas Leipelt

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