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Tausche Oma gegen guten Witz

Was ich der taz zum Zwanzigsten wünsche (III): Fünf Dinge – Teilnahme am rot-grünen Drama, Nonkonformismus, große Buchstaben, ganze Gedanken und Kurzweil  ■ Von Christian Semler

Der 1. Wunsch: Teilnahme am rot- grün-politischen Drama

Die Leserschaft der taz ist durch viele Fäden mit dem rot-grünen Projekt verbunden. Dies gilt, glaube ich, unabhängig von den verschiedenen Lese-Generationen und auch unabhängig von der weitverbreiteten Abneigung gegen die Grünen-Führungsgruppe der „über Fünfzigjährigen“. Angesichts der neuen Regierung hofft, leidet und freut sich unsere Leserschaft etwas mehr, als es gegenüber Politikern üblich ist. Natürlich hat sich das „Volk der Linken“ verlaufen, falls es je existierte. Aber ein bißchen gleichen die Leser unserer Zeitung im Hinblick auf die neue Regierung doch den Anhängern einer Dorffußball- Mannschaft.

Wie kommt das rot-grüne Bündnis im Dickicht der Tagespolitik zurecht? Was ist vom ursprünglichen Projekt „ökologische Umgestaltung der Industriegesellschaft“ übriggeblieben? Die Tagespresse einschließlich ihres linksliberalen Flügels geht von der Gedankenfigur des notwendigen Scheiterns aus. „Teaching Reality“ hält sie für Aufklärung. Der Klugscheißer ist der zeitgemäße journalistische Prototyp. Demgegenüber wäre von der taz zu erwarten, daß sie den Konflikt zwischen Realität und Projekt konkret abbildet, daß sie aufzeigt, wie dieser Konflikt mitten durchs Herz der Protagonisten geht. Kein billiger, anpasserischer Zynismus (Macht korrumpiert), keine billigen Konstruktionen eines Gegensatzes zwischen der Basis, die den Idealen treu bleibt, und der Führung, die sie verrät. Sondern genaue Schilderung des Dilemmas kraft intimer Kenntnis dramatis personae. In der Sozialforschung heißt das: teilnehmende Beobachtung.

Es stimmt schon, der gesellschaftliche Widerstand ist momentan schwach. Aber gerade weil wir uns fokussieren wollen auf das Regierungsdrama „Rot-Grün“, müssen wir auch über Basisbewegungen berichten, selbst wenn sie noch ein Rinnsal sind.

Der 2. Wunsch: Nonkonformistische Überraschungen

Voraussehbarkeit der journalistischen Reaktionen wirkt auf den klugen Leser tödlich. Was Heribert Prantl zu Otto Schily einfällt, ist bis in die Formulierungen hinein absehbar. Vorsicht vor Lieblingsfeinden, sie könnten urplötzlich etwas Intelligentes zu sagen haben! Vorsicht auch vor allzu starren Fronten. Zwar existiert der Gegensatz Links–Rechts entgegen voreiliger Grabreden tatsächlich weiter. Aber es treiben sich außer Heiner Geißler noch eine ganze Menge gewitzter Konservativer und Liberaler herum.

Auf die Treue der taz zu Lieblingspolitikern oder dem erdachten Lieblingsleser sollte kein allzugroßer Verlaß sein. Gegenüber beiden muß sie in der Lage sein fremdzugehen. Das hat nichts mit Originalitätssucht zu tun. Denn der Nonkonformismus blüht nur auf der Basis ziemlich festgefügter Grundüberzeugungen. Eine Zeitlang wurde viel Energie darauf verwandt, nonkonformistisch gegen gußeiserne Linkshuberei vorzugehen. Jetzt ist eher Nonkonformismus gegen postmoderne Beliebigkeit angesagt.

Der 3. Wunsch: Debatten mit großen Buchstaben

Gegenwärtig schauen sich alle Beteiligten des Medien-Debattenzirkus gegenseitig über die Schulter, auf immerwährender Themensuche. Notfalls hilft noch der Blick ins befreundete Ausland. Wobei die Schwierigkeit darin besteht, daß verzweifelt nach dem Neuen gegriffen, das Alte aber noch nicht erledigt ist. Entgegen einer landläufigen Meinung gehören zum unerledigten „Alten“ auch die großen Themen der Ökologie, der sozialen Gerechtigkeit und einer libertären Lebensführung samt deren Fallstricken. Die taz muß insistieren, und sie muß neue Themen „riechen“. Sie hat keinen privilegierten Zugang mehr zu „Zukunftsthemen“. Im Umkreis der Zeitung finden sich aber seit Jahren Intellektuelle. Sie gilt es, viel mehr als bisher geschehen, zu pflegen. Sie sind noch gefordert im Kampf um kulturelle Hegemonie gegenüber den diversen Spielarten freudiger oder resignierter Hinnahme des schlechten Bestehenden. Eines Kampfes, der nicht mehr um die „Arbeiterklasse“ tobt, sondern um eine ziemlich buntscheckige Ansammlung von Individuen und Bewegungen.

Der 4. Wunsch: Das Ganze denken

Die taz verfügt, ohne sich dessen hinreichend bewußt zu sein, über ein geballtes Potential, was die Kenntnis internationaler Zusammenhänge, was Politik, Geschichte und Kultur ferner und fernster Länder anlangt. Immer wieder gelang es ihr, mit ihren Schwerpunkten Standards zu setzen. Als es galt, Befreiungsbewegungen oder demokratische Initiativen zu unterstützen, war die Aufgabe allerdings auch leichter. Aber für die Bearbeitung der großen internationalen Probleme – Nationalismus versus Universalismus etwa, oder die Idee einer internationalen Friedensordnung oder der Kampf dafür, daß es in der Weltwirtschaft gerechter zugeht – ist die taz mindestens so gut gerüstet wie die anderen überregionalen Zeitungen.

Einmalig in den Printmedien war und ist die Anstrengung der taz, nicht nur über fremde Länder zu schreiben, sondern deren Intellektuellen, Künstlern und Schriftstellern das Wort zu geben. Dabei geht es auch darum, die Interpretationshoheit der eigenen Leute etwas zu relativieren. Normalerweise liefern „unmittelbar Betroffene“ das Material, der (deutsche) Journalist die Zusammenhänge.

Der 5. Wunsch: Kurzweil

Kurzweil ebenso wie Witz entziehen sich der Planung wie der Anordnung. Aber beide gedeihen nur in einem Klima, das für sie anfällig ist. Und verabschieden sich in Phasen allgemeiner, redaktionsinterner Griesgrämigkeit zugunsten des geisttötenden Zynismus.

Kurzweil ist keine Frage hierfür abgestellter Spezialisten, obwohl es, auch in der taz, gute Journalisten geben soll, denen es an der Gottesgabe der Unterhaltsamkeit gänzlich gebricht. Für einen guten Witz sollte man nicht seine Großmutter verkaufen, aber nur kurz davor haltmachen. Witz und Kurzweil bedürfen langfristiger Förderung und anhaltenden redaktionsinternen Lobs: für eine gelungene Schlagzeile, eine hinreißende Metapher, einen knappen, erhellenden Lakonismus, eine Fotografie wie ein Vexierbild. Wie viele derer, die bei der taz arbeiten, dürsten nach Unterhaltsamkeit und wie wenig werden sie herausgefordert!

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