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Der Blick hinter die Gesten

Mehr als ein Modefotograf: Das Museum für Kunst und Gewerbe zeigt neuerworbene Arbeiten des legendären Amerikaners Irving Penn  ■ Von Kristina Maroldt

Das Atelier, in dem Picasso 1957 dem amerikanischen Fotografen Irving Penn Modell saß, hatte eine große vergitterte Fensterwand. Als Penn, damals schon eine Legende, vor diesem Fenster stand und auf den Auslöser seiner Kamera drückte, um ein face-to-face-Porträt Picassos zu schießen, war das linke Auge seines Modells genau auf dieses charakteristische Gittermuster gerichtet.

Nachlesen kann man diese Szene in keiner Biographie, sondern nur in jenem linken Auge Picassos. Denn das Schwarz-weiß-Porträt des Spaniers ist so gestochen scharf, daß sich der Raum, in dem das Foto entstand, bis auf solche Details genau in der Iris Picassos widerspiegelt.

Das für Penns nüchternen Stil so typische Picasso-Porträt gehört sicher zu den beeindruckendsten der 27 Werke, die bis zum 30. Mai in der Photographischen Sammlung des Museums für Kunst und Gewerbe in Hamburg zu besichtigen sind. Schon 1981 hatte man hier mit fünf zentralen Neuerwerbungen den Grundstock für eine Sammlung des Fotografen gelegt. Mit Unterstützung der Stiftung zur Förderung der Hamburgischen Kunstsammlungen und der Camp'schen Historischen Kunststiftung kamen im Sommer letzten Jahres die restlichen 22 hinzu. Zwei davon – die Porträts Francis Bacons und Truman Capotes – sogar als Geschenk des Künstlers selbst.

„Jetzt hat Hamburg die bedeutenste Irving-Penn-Sammlung in Deutschland“, freut sich Dr. Claudia Gabriele Philipp, die als Kuratorin für Photographie des Museums die Ausstellung betreut hat. Grund zur Freude ist das in der Tat, denn der mittlerweile 80jährige gilt als unumstrittener Klassiker der Fotografie. Seine Popularität erlangte der Künstler vor allem durch sachlich-elegante Modeaufnahmen, die in den amerikanischen, französischen und englischen Ausgaben von Vogue erschienen. Für das Magazin entwarf Penn selber von 1943 bis 45 die Titelblätter, insgesamt mehr als 100 Stück, bevor er über den dortigen Art Director Alexander Liberman zur Fotografie kam. Nach seiner Arbeit für die New Yorker Editions Condé Nast war Irving Penn ab 1952 schließlich nur noch freischaffend tätig.

Oft saß ihm bei seiner Arbeit als Modefotograf seine Frau Lisa Fonssagrives-Penn Modell. Eine Bilderstrecke mit Porträts der Schwedin zeigt auch die Hamburger Ausstellung. Penn setzt die Geliebte dabei vor ganz unterschiedlichen Kulissen in Szene – einmal gar in einem Marokkanischen Palast. Stets strahlen die Fotos trotz der kühl-unnahbarer Aura der Porträtierten eine intime Vertrautheit aus, etwa, wenn sie auf Woman with Roses (Paris, 1950) mit dem Betrachter lächelnd zu flirten scheint und dabei hinter der Maske ihrer koketten Körperhaltung doch seltsam unsicher wirkt.

Hier kommt Irving Penns erstaunliches Talent für psychologisch-komplexe Porträts zum Tragen. Denn solche beeindruckenden Nahaufnahmen von menschlichen Eigenheiten, die sich hinter eingeübten Gesten verstecken, gelangen ihm nicht nur bei der eigenen Frau. Penn fotografierte eine ganze Reihe von Berühmtheiten seiner Zeit. Meist inszenierte er die Stars dabei mit nahezu perfektionistischer Sorgfalt. Ohne jede Ablenkung durch Accessoires und Requisiten komponierte er die Bilder nach dem Prinzip „less is more“. Herausgekommen sind klare und ruhige Stuidoaufnahmen, die sich auf das Wesentliche der Porträtierten konzentrieren. Das ist dann beim Maler Picasso das fast schon übertrieben scharfe Auge, beim Komponisten Igor Strawinsky das lauschende Ohr, bei der Schauspielerin Marlene Dietrich das klar gezeichnete Gesicht.

Angesichts dieser Lust an Inszenierung und Präzision verwundert es nicht, daß sich Penn auch als Fotograf klassischer Stilleben einen Namen machte. Neben den größtenteils schwarz-weißen Porträts und Modefotografien ist in der Hamburger Sammlung auch eine Auswahl dieser – meist farbigen – Arbeiten zu sehen. Penn orientiert sich bei der Gestaltung dieser Bilder ganz an dem Stil der alten Meister: Fotos, wie das 1947 in New York enstandene schwarz-weiße Still Life with Mouse, auf dem eine kleine Maus neben einem Berg kulinarischer Köstlichkeiten posiert, strahlen somit eine fast kontemplative Ruhe aus.

Dank der dabei verwendeten Platin-Palladium-Technik weisen die Fotos eine erstaunliche Vielfalt von Schattierungen auf: Eine Aufnahme von weißen Hühnereiern vor weißem Hintergrund, wie bei Still Life with Mouse, wird da zur kleinen Grauton-Farblehre.

Auch bei seinen Farbaufnahmen scheute Irving Penn nicht vor aufwendigen Entwicklungsverfahren zurück. Durch die Dye-Transfer-Technik, bei der noch richtige Farbpigmente auf das Fotopapier aufgetragen werden, erhielten seine Fotos nicht nur eine kornfreie, klare Leuchtkraft, sondern auch eine außergewöhnlich lange Haltbarkeit.

Das Streben Irving Penns, seine empfindlichen Foto-Werke für die Nachwelt zu erhalten, erinnert ein wenig an die klassische Sehnsucht aller Künstler nach Unsterblichkeit. Dazu paßt, daß Penn bei seinen Stilleben häufig das Motiv der vanitas, der Vergänglichkeit alles Sterblichen, aufgreift. Da liegen dann halbaufgerauchte Zigaretten wie zufällig vor fast leeren Likörgläsern und schubsen den Betrachter hinterhältig in düstere Grübeleien über die Vergänglichkeit des eigenen kleinen Lebens und Schaffens.

Zumindest einer muß sich über solche Dinge keine Gedanken mehr machen: Irving Penn ist in den Geschichtsbüchern der Fotografie ein ruhmreicher Platz bereits sicher.

Di bis So, 10 bis 18 Uhr; Do, 10 bis 21 Uhr, Museum für Kunst und Gewerbe, bis 30. Mai

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