: Demokratiedefizit an Hochschulen
■ „Regierungsfraktionen erschütternd resistent gegen jede Einsicht“
Zwischen der ersten und der zweiten Lesung eines Gesetzes passiert in der Bremischen Bürgerschaft erfahrungsgemäß nur dann etwas, wenn eine Regierungsfraktion zu einer neuen Einsicht gelangt ist. Bei den Beratungen zum Hochschulgesetz sind die Regierungsfraktionen bislang jedoch erschütternd resistent gegen überhaupt jede Einsicht gewesen. Die jetzige Vorlage wird also wohl Gesetz werden. Bremen, Anfang der 70er Jahre an der Spitze der Bemühungen um Modernisierung und Demokratisierung der Hochschulen, wird dann an der Spitze bei deren Refeudalisierung stehen. Mitwirkungsrechte werden auf die Lyrik der Präambeln beschränkt, eine Selbstverwaltung, die diesen Namen verdient, wird abgeschafft sein.
Bei der Beschreibung der künftigen Strukturen ist es fast unmöglich, den Begriff „Führerprinzip“ zu vermeiden. Ich behelfe mir lieber mit „Feudalsystem“: Der Herr (Rektor) wählt einige aus der Zahl seiner treuen Vasallen (zu Konrektoren), weist ihnen die Aufgaben zu, legt die Grundsätze fest, nach denen das Reich (die Hochschule) geleitet wird und entscheidet über die Verteilung der Lehen (Mittel und Stellen). Einige besondere Lehnsherren (von schnöden Fachbereichsspre-chern zu Dekanen aufgewertet) dürfen unterverwalten.
Versammlungen der Freien (Akademischer Senat und Fachbereichsräte) dürfen zwar allerlei hehre Grundsätze und Pläne beschließen. Aber was im Reich wirklich gemacht wird, entscheiden nicht Tinte und Papier, sondern das Geld, und darüber befindet der Herr, und zwar ganz allein, wo kämen wir denn sonst hin.
Manche finden das übrigens gar nicht feudal, sondern modern, weil die Hochschulen jetzt angeblich wie Unternehmen geführt werden können. (Das soll allerdings nicht unterschlagen werden: der Globalhaushalt ist ein echter Fortschritt.) Nur verrät diese Auffassung eine reichlich unterentwickelte Kenntnis gleich von beidem: von Hochschulen wie von Unternehmensführung. Hochschulen einerseits haben nicht die Aufgabe, Absolventen und Absolventinnen zu produzieren, sondern sie haben einen gesellschaftlichen Auftrag zu Bildung, Erziehung und Pflege der Wissenschaften. Unternehmen andererseits produzieren nicht Waren, sondern Geld mittels Waren, was ein großer Unterschied ist, weshalb es auch in Unternehmen einen Aufsichtsrat gibt, der auf den Vorstand und auf die sachgerechte Verwendung des Geldes aufpaßt.
In unseren Hochschulen hingegen wird künftig der Aufgepaßte selbst der Aufpasser sein. Und damit nichts schiefgeht, betraut der Herr (Rektor) künftig, wenn seine Zeit erstmal um ist, einige seiner treuesten Lehnsleute damit, den neuen Herrn oder den Herrn neu vorzuschlagen und wenn die Freien jemanden anders haben wollen, dann müssen sie sich schon fast alle einig sein. Also wirklich ein Schelm, wer dabei an Feudalismus und Klientelsystem denkt.
Natürlich gab es auch blühende Feudalstaaten. Aber gegen den Vorteil des Feudalsystems, daß gute Feudalherren auch gut regieren können, wiegt der Nachteil, daß schlechte Feudalherren durch nichts und niemanden an schlechten bis zerstörerischen Entscheidungen gehindert werden können, ungleich schwerer. Nicht Mitlaufen, sondern Mißtrauen ist die oberste Tugend in der Demokratie. Daher ein letzter Vorschlag zur Güte: In 80 (2) wird eingefügt: „1. Beschlußfassung über den Haushalt und den Stellenplan. Sätze 1. bis 17. werden 2. bis 18.“ In 81 (2) Satz 3 wird hinter „Mittel und Stellen“ eingefügt: „nach Maßgabe des vom Akademischen Senat beschlossenen Haushalts- und Stellenplans“.
Aber da das mit der Einsicht bei den Regierenden eben ist, wie es ist, bleibt nur die Aufforderung an die Grünen, als einzige verbliebene Oppositionspartei zu erklären, daß sie die Beseitigung des fundamentalen Demokratiedefizits in den bremischen Hochschulen zum Punkt im Wahlprogramm machen. Feudalismus ist nämlich nicht nur undemokratisch, sondern auch uneffektiv, aber davon ein andermal.
Prof. Dr. Gerd Syben ist Hochschullehrer für Arbeits-, Berufs- und Industriesoziologie an der Hochschule Bremen
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