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Mit dem Hammer musizieren

Wo früher nur Beats waren, dringen heute Pianotöne ins Breakgewitter ein. Das Label DHR erweitert mit den Bands Fever und Cobra Killer sein Soundspektrum    ■ Von Tobias Rapp

Digital Hardcore Recordings, das Label mit den Einschußlöchern in den Buchstaben, ist in Bewegung. Die Plattenfirma rund um Alec Empire und Atari Teenage Riot, seit die Einstürzenden Neubauten sich bevorzugt in Theatern herumtreiben, alleinige Trägerin des Berliner Krachmusik-Wanderpokals, öffnet ihren Sound.

Gab es dort jahrelang vor allem Beats, die wie schwere Brecher über den Boxen zusammenschlugen, über denen schreiende Frauenvocals und sägende Synthesizer lagen, läßt es DHR jetzt etwas anders angehen. Weniger Agit-Pop, mehr Öffnungen in angrenzende Bereiche. Das ist natürlich immer noch mit dem Hammer musiziert, der landet in diesen Tagen aber weniger auf den Studiogerätschaften, dafür mehr in angrenzenden musikalischen Bereichen: Denn DHR erweitert das eigene Soundspektrum.

Zum Beispiel mit HipHop und Fever. HipHop und Breakbeats waren zwar für den DHR-Sound schon immer wichtig, aber in der Vollendung von Fever gab es das noch nicht. Das ist HipHop, weil Breakbeat und Sprechgesang, aber trotzdem langsam, metallisch und so klaustrophobisch, daß es sich anhört wie die Schwingungen unreiner Chemiereste, die zwischen Nervenknoten hängengeblieben sind.

Doch Frederic und Paul, die beiden Köpfe hinter Fever, wollen sich auch gar nicht zu sehr auf HipHop festlegen lassen. Klar war da irgendwann Public Enemy und irgendwo auch Techno, aber zu mehr wollen sie sich nicht bekennen. Überhaupt: Festlegungen sind ihre Sache nicht. Und das nicht etwa, weil sie es nicht besser wüßten – es gehört zu ihrem Konzept der fiebrigen Welt. Und die sieht so aus: Dualitäten regieren, so weit das Auge reicht, und dagegen gilt es anzugehen. Kein ja/nein, an/aus, süß/sauer oder adidas/Nike mehr, sondern das Vakuum zwischen den Polen füllen.

Vorläufig sitzen die beiden noch in einer charmant zugemüllten Wohnung im Bezirk Friedrichshain. Hier haben sie auch ihr Studio. Frederic ist etwas kleiner, Paul trägt einen Kapuzenpullover und eine rotgetönte Sonnenbrille. Ein Atari liegt in einem Pappkarton, Public Enemy hängen an der Tür, und eine Europa-Hörspiel-Platte thront über der Spüle.

Doch nicht nur bei den Einflüssen, auch mit dem interpretatorischen Sägezahn beißt man bei den beiden auf Granit. Ob denn das Piano, was da unverzerrt im Breakbeatgewitter steht, in seiner Schönheit so etwas wie das Aufscheinen eines utopischen Moments im herrschenden Schlechten sei? „Nö, is nur 'n Sample. Das ist da eigentlich zufällig gelandet.“ Immerhin ist es aus einem Billie-Holiday-Song, was auch immer das dann bedeutet. Aber trotz allem Widerwillen, sich auf etwas reduzieren zu lassen, ist Trash-Kultur ein wichtiger Teil des Fever-Universums. Japanische Comics, Nintendo, Hörspielplatten und ähnliches.

„Wir sind ziemlich toon“, sagt Paul und meint damit die zweite Silbe von Cartoon. Fever soll Stimmungen in bestimmte Charaktere kondensieren, um so kleine Icons zu schaffen. Ja, und dann ist da noch das Fever. Ein Zustand, unter dem die Menschheit seit langem leidet, aber nicht schon immer. Vor die Frage gestellt, seit wann – seit der Vertreibung aus dem Paradies oder seit der Erfindung der Dampfmaschine – entscheiden sich Paul und Frederic nach einem Blick in die Teetassen für ein Mittelding: seit der Einführung der Stechuhr. Hat sich also was mit coolem Bombenlegertum und voll authentizitätswuchtiger teenage rage: die beiden wollen einfach morgens nicht aufstehen.

Wo bei Fever HipHop steht, kann man bei Cobra Killer Sixties-Garagepunk einsetzen. Und wo Fever irgendwo zwischen Verwirrung und Depression im Schienenersatzverkehr pendelt, handelt Cobra Killer von Energie, Enthusiasmus und Hysterie. Eine Orgel, stehendes Echo, kieksende Stimmen, verzerrte Schreie, Gitarren. – „Bloß nicht bei 30 Prozent sagen, jetzt ist genug“ ist Gina und Annikas Motto, und das glaubt man ihnen sofort: denn so wie sie sehen die wilden Feger aus. Beide sind Anfang Zwanzig, und Annika gleicht einer der Frauengestalten, die durch diverse Garagepunk-Teenage-Angstlustträume geistern: groß, schwarze Haare, schwarze Klamotten, und um die Ecke steht bestimmt noch das schwarze Auto, mit dem sie nachts die Stadt unsicher macht und am liebsten 16jährigen Jungs den kleinen Finger abbeißt.

Doch auch Cobra Killer geht es nicht mehr um die plakativen Parolen. Eher soll für die, die das Schlechte auch nicht wollen, was anderes gemacht werden, etwas, was besser rockt vielleicht. Andere Gefühle als die überall sonst konfektionierten erzeugen. Und keine neue Autorität aufrichten. Natürlich hat das auch einen politischen Subtext, aber der lautet dann eher: „Wie soll man mit Leuten, die nur in der Missionarsstellung Sex haben, die Revolution machen?“ Kobras sind eben unberechenbar, wenn ihr Gift auch heilende Wirkung hat.

Genau wie Fever geht es Cobra Killer darum, etwas in das DHR-Universum hineinzutragen, was dort bisher so nicht vorkam. Zumal Gina als Teil von Ec8or schon in einem anderen Sonnensystem mitmischt und auch Annika zusammen mit Shizuo in der Band Give up spielt. One DHR world, one family. Und jetzt, wo die Programmerweiterungen installiert sind, kann es eigentlich hardcoremäßig in die nächste Runde gehen. Und die ist auch schon angekündigt: und zwar noch für diesen Monat, dann soll nämlich das neue Atari-Teenage Riot-Album erscheinen. Fever: Too Bad But True, Cobra Killer: Cobra Killer

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