Kommentar
: SPD im Stimmungstief

■ Den Genossen fehlt der Mumm

Sechs Monate vor der Abgeordnetenhauswahl zeigt sich die SPD in denkbar schlechter Verfassung. Fast möchte man meinen, die Sozialdemokraten wollten die Wahl gar nicht mehr gewinnen. Verzagt starren die Funktionäre auf die sinkenden Umfragewerte. Eine Initialzündung müßte her. Doch der Versuch der SPD-Viererspitze zu einem Befreiungsschlag endete vor kurzem mit einer Bauchlandung. Ihr sogenanntes Modernisierungspapier enthielt so manche Zumutung für das Parteivolk – beispielsweise den Verkauf von zwei städtischen Wohungsbaugesellschaften. Die SPD setze angesichts des Populismus der CDU offenbar auf Anti-Populismus, lästerte ein Kreisvorsitzender.

Führungsstärke erhoffte sich die SPD von der Viererspitze aus Parteichef Strieder, Fraktionschef Böger, Finanzsenatorin Fugmann-Heesing und Spitzenkandidat Momper. Doch diese sogenannte Quadriga hat die sozialdemokratische Partei bislang nicht nach vorne gebracht. In das Korsett des Quartetts eingezwängt, verliert der einzelne offenbar zu sehr an Aktionsspielraum.

Und wo ist eigentlich Walter Momper? Der Spitzenkandidat und Hoffnungsträger der Parteibasis scheint noch nach seiner Rolle zu suchen. So richtig Tritt gefaßt hat er noch nicht.

Mit Modernisierungspapieren allein führt man die Partei gewiß nicht aus dem Stimmungstief. So tief scheint der Mut gesunken, daß die Genossen auch ihr Ziel eines rot-grünen Regierungswechsels in Berlin kaum noch im Munde führen wollen. Die Partei übt sich in Leisetreterei, anstatt – trotz des derzeitigen Gegenwindes für Rot-Grün – selbstbewußt in Offensive zu gehen. Klar hält man noch am Ziel fest. Doch wer nicht nach außen vermittelt, daß er selbst noch dran glaubt, hat schon verloren. Den Sozialdemokraten scheint das letzte Quentchen Kampfgeist abhanden gekommen zu sein.

Es ist schon paradox: für die fehlende Mehrheit einer rot-grünen Option waren früher die Grünen verantwortlich, die zuweilen nicht über zehn Prozent hinauskamen. Nach dem derzeitigen Stand der Dinge dürfte Rot-Grün in Berlin hingegen an der schwächelnden SPD scheitern.

Dorothee Winden

Bericht Seite 32