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Trommelfeuer aus dem Moskauer Kreml

Rußlands Präsident reitet heftige Attacken gegen die Nato und warnt vor einem Einsatz von Bodentruppen im Kosovo. Der kommunistische Duma-Präsident Selesnjow berichtet vom Wunsch Milošević', der russisch-weißrussischen Union beizutreten  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Der Realitätsverlust der politischen Elite Rußlands nimmt seit den Nato-Bombardements im Kosovo bedenkliche Formen an. Nach seiner Rückkehr aus Belgrad berichtete der kommunistische Vorsitzende der Duma, Gennadi Selesnjow, im Parlament, Slobodan Milošević wünsche, in die Union Rußland-Weißrußland aufgenommen zu werden. „Milošević hat mich gebeten, Präsident Jelzin das Vorhaben mitzuteilen“, sagte Selesnjow. Nur so ließe sich das Kosovo-Problem lösen.

Angeblich hat Kreml-Chef Jelzin dem Außen- und GUS-Ministerium bereits den Auftrag erteilt, „ein Dokument über eine Union zwischen Weißrußland, Rußland und Jugoslawien vorzubereiten“, behauptete der Duma-Vorsitzende nach einem Gespräch mit Jelzin. Der neue Unionsvertrag, frohlockte Selesnjow, erlaube mehr als nur Waffen auf den Balkan zu senden: „Wir werden unsere Armee dort haben.“

Indessen dürfte Boris Jelzin kaum bereit sein, sich auf ein Balkanabenteuer einzulassen. Noch am Vortag hatte er vor einer übereilten Vereinigung mit Jugoslawien gewarnt. Belgrad hat bereits einen Beobachterstatus in der Weißrussischen/Russischen Versammlung. Mehrfach haben die Präsidenten in Moskau und Minsk die Absicht feierlich bekundet, eine Union zu gründen. Aus der Sicht des Kremls diente das Spektakel aber vornehmlich dem Ziel, die Opposition kurzfristig zu befriedigen. Die Vereinigung dürfte daher auch jetzt nicht mit besonderer Verve betrieben werden. Bereits die existierende Union mit Weißrußland kam nicht über einen rein symbolischen Charakter hinaus. Dem Kreml-Chef waren die Ambitionen des in Minsk herrschenden Diktators Lukaschenko verdächtig, der Jelzins Nachfolge in Rußland antreten möchte.

Läßt sich Jelzin auf die Debatte ein, dient das nur einem vorübergehenden innenpolitischen Kalkül: Die Duma von ihrem Ziel abzulenken: dem Amtsenthebungsverfahren gegen Jelzin. Die Parlamentarier versuchen, den Kosovo-Konflikt für sich zu nutzen. Dabei bauen sie auf die Unterstützung der im serbischen Fieberwahn taumelnden Öffentlichkeit. So kursierte die Meldung, Jelzin habe dem Militär befohlen, die atomaren Sprengköpfe auf jene Nato- Staaten auszurichten, die an Kampfhandlungen Jugoslawiens beteiligt seien. Das Präsidialamt bestätigte die Meldung nicht.

Allerding hatte sich Jelzin mit sehr scharfen Worten an die Adresse der Nato gewandt und vor dem Einsatz von Bodentruppen in Jugoslawien gewarnt. Rußland könne das nicht dulden: „Rußland wird sich in Jugoslawien nicht einmischen, solange zumindest, wie die USA uns nicht dazu zwingen.“

Ranghohen Militärs drohte der Präsident unterdessen mit der Entlassung. Generalstabschef und Falke Anatoli Kwaskhin hat militärische Hilfe seitens Moskau nicht ausgeschlossen. Sollte die Nato Bodentruppen einsetzen, warnte General Leonid Iwaschow überdies, „der Situation angemessene Maßnahmen zu ergreifen“. Jelzins Kanzleichef dazu: „Sollten Generäle weiter militante Bemerkungen machen, die sich nicht mit der Position des Präsidenten decken, „würden sie sofort entlassen“.

Premier Jewgeni Primakow ist wegen eines Hexenschusses noch ans Bett gefesselt. Seit Wochen kursieren Gerüchte, die Zukunft des 68jährigen baumele am seidenen Faden. Bei einem Treffen mit dem Republik-Chef der russischen Föderation betonte Jelzin: „Der Premier ist zur Zeit sehr wichtig, alles weitere wird sich zeigen.“ Aber er deutete an, die Regierung durch neue Minister zu verstärken.

Seit langem ist der Premier Jelzin ein Dorn im Auge. Allzu sichtbar hat Primakow den machtbesessenen Kremlchef verdrängt. Die ungünstige Kräftekonstellation hielt den Kreml-Chef bisher davon ab, den Premier zu entlassen. Die kommunistische Mehrheit der Duma, die Primakow mitträgt, würde einem neuen, von Jelzin vorgeschlagenen Ministerpräsidenten kaum zustimmen.

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