: Agitation im Wurstmantel
■ Auf großer Kaffeefahrt mit Selbstreinigungsautomatik
Der Nebel legt sich wie eine hauchdünne Scheibe Schweinskopfsülze über den umstrukturierten bäuerlichen Veredelungsbetrieb am Rande der riesigen Wälder der Borkenberge. Ungeduldig, unbeeindruckt von der gespenstischen Stimmung, fiebert eine zirka dreißigköpfige, grunddebile Kaffeefahrt-Gruppe der verheißungsvollen Versprechung entgegen: Wurst bis zur Intensivstation. Doch zuvor erwartet sie ein nicht minder juwelenes Kleinod: eine Werbeverkaufsveranstaltung der subtilsten Art – ganz ehrlich und fair. In würstlichem Ambiente aus Nut- und Federbrettern, PVC und Neonröhren lebt die hohe Schule der Propaganda noch einmal auf. Heiner, unser kleiner Demagoge mit dünnem Oberlippenbart, sorgt erst mal für klare Verhältnisse. „Leute, die morgens schon randvoll sind, die werf' ich eigenhändig raus!“ Zustimmendes Gemurmel, betretene Blicke zu Boden. Aufbau eines Feindbildes nach alter Goebbelscher Schule. Als zweiter böser Geist müssen alle anderen Verkaufsfahrten herhalten, da gäbe es ja fast nur schwarze Schafe, wie Heiner als Experte weiß. „Und habt ihr hier nicht immer euer Wurstpaket bekommen?“ fragt er rhetorisch und selbstzufrieden in die Runde.
Kapitel zwei der Propagandabibel: Zusammengehörigkeitsgefühl – eine Verkaufsfahrt, ein Volk. „Aber ich sehe, ihr seid toll. Ich habe, und jetzt mal ganz ehrlich und fair, selten so eine nette Gruppe gehabt.“ Und deshalb hat Heiner extra für uns weiche, warme Felldecken für 700 bis 1.500 Mark mitgebracht, ganz ehrlich und fair.
Nun ist es höchste Zeit, uns das eigentliche Feindbild zur Beute vorzuwerfen – die Daunendecke. Diese besteht hauptsächlich aus gewöhnlichen Gänse-, Hühner- oder Entenfedern, die den Tieren bei lebendigem Leibe ausgerissen werden. Außerdem dient das Plumeau als Lebensraum für die gemeine Staubmilbe, die ihren giftigen Kot in unseren Betten hinterläßt. Ich träume also süß in einer Mischung aus zu Tode gequältem Federvieh und Milbenkacke? Als geschulter Propagandist beherrscht Heiner auch die Kunst der Instrumentalisierung seiner Zuhörer.
Eine Felldeckenbesitzerin muß all seine Ausführungen bejahen, und ich habe die Aufgabe, ständig irgendwelche Zahlen nickend zu bestätigen, die mir Heiner unter die Nase hält. Wofür ich reichlich mit Alkoholika bedacht werde. Wollt ihr das totale Angebot? „Wenn Sie, meine Damen und Herren, ganz ehrlich und fair, nicht eine, nein zwei Kaschmirdecken nehmen, dann bekommen Sie zusätzlich von mir noch eine dritte geschenkt oder aber, wenn Sie wollen, den Turbo-Grill mit Selbstreinigungsautomatik oder aber dieses neunzehnteilige Topfset ...“
Doch mehr als drei Decken wird Heiner nicht los. „Gebt mir noch fünf Minuten für Kleinartikel, und wir sind fertig.“ Er gibt uns noch eine Chance zur Läuterung, auch den Federbettschläfern. Denn er hat etwas, was jeder gebrauchen kann – ein Wollwaschmittel. Sündenablaß von der Kaufverweigerung. Das Waschmittel geht im Nu weg. Als die Resonanz geringer wird, zückt Heiner seine letzte Agitationskeule. Goebbels hätte dabei wollüstig mit seinem Klumpfuß gescharrt. So ein Waschmittel, das könne sich ja wohl jeder leisten. „Und das schöne Wurstpaket, das ihr nachher bekommt, das kostet den Hof ja auch einiges. Glaubt ihr, das deckt sich mit eurem Unkostenbeitrag?“
Er impft uns ein, wenn wir nicht eine Flasche Wollreiniger nehmen würden, dann wären wir elende Schmarotzer, parasitäre Milben im wurstenen Körper des Erzeugers. Die eigene Schande ist nur noch durch zielgerichtete Betäubung zu verdrängen, ich fülle ein Glas mit dem berüchtigten „Bauer Ewalds Bullenschluck“. Als ich aufblicke, fragt mich Heiner, ob ich von der Presse sei. „Nein“, lalle ich. Florian Biedermann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen