: „Absteigen werden wir nicht“
Nach dem 2:1 über Lautern wollen alle die Geschichte von dem kleinen, häßlichen Klub, der die große, schöne Welt erobert. Aber Wolfsburgs Trainer Wolf bleibt vorsichtig ■ Von Peter Unfried
Wolfsburg (taz) – Alle Welt will jetzt natürlich die gute alte Geschichte neu schreiben von einer häßlichen, traurigen Stadt mit einem kleinen Verein in einem kleinen Stadion, der in seinem zweiten Bundesligajahr bereits in der großen weiten Welt ankommt. Aber erstens ist nicht nur in Mönchengladbach nichts mehr „so wie früher“ (Günter Netzer), sondern alles eine Frage der Größe des Sponsors. Zweitens macht Trainer Wolfgang Wolf da nicht mit.
Nach dem 2:1 über Meister Kaiserslautern raunt man das Wort Europa aber auch in der Stadt, man feuert es auf den Manager Peter Pander ab, und tatsächlich laufen die Planungen natürlich. Ein neues Stadion ist geplant, Sponsor VW hat Geld bereitgestellt, die Qualität des Kaders für neue Herausforderungen anzuheben, mit Weiser und Feldhoff sind die ersten Neuen bereits verpflichtet.
Aber Wolf (41) sagt nicht „Europapokal“, geschweige denn „Champions League“. Er nennt diese neu zu erschließenden Geschäftsbereiche das, „wo alle davon träumen“. Er sagt: „Lassen Sie uns mal aus der Woche rauskommen.“ Morgen spielt der VfL in Frankfurt, am Samstag kommt Tabellennachbar 1860 München, danach, sagt Wolf, „wird man sehen“.
Am Spielfeldrand sieht man Wolf nur granteln. Sobald er etwas Distanz hat, redet er aber mit sichtlichem Wohlgefallen über die Fortschritte seines Teams. Gegen Kaiserslautern sah man: Der VfL wirkt extrem kompakt, das Team ist zweikampfstark und vor allem unprätentiös. Neun Spieler begnügen sich mit kurzen Verweildauern am Ball und arbeiten ansonsten ihren Zuständigkeitsbereiche ab. Und dann sind da Charles Akonnor (hinter den beiden Spitzen) und Roy Präger (vorne rechts). Rekonvaleszent Akonnor, sagt Wolf, sei „torgefährlicher“ als der nach Glasgow verabschiedete Reyna, weil er „in die Tiefe“ gehe – was er bei Prägers 1:0 bewies.
Und Präger selbst? Der ist trotz seines Weggangs im Sommer einfach „giftig“, wie einst Kollege Olaf Thon brillant formulierte. Als er nach unzählichen Versuchen FCK-Keeper Reinkes Paß abfing, lief er damit aus so spitzem Winkel aufs Tor zu, daß der rationale Lauterer Libero Sforza nach Einschätzung der Lage glaubte, er müsse den Weg zur Mitte zumachen. Präger knallte das Ding volle Wumme zum 2:0 ins kurze Ecke.
Und Wolf faßte sich bloß an den Kopf – allerdings nicht wegen Präger. „Er hat alles richtig gemacht“, befand der Trainer. Ihn irritierte, daß „wir das Tor geschenkt gekriegt haben“, während beste Chancen vergeben worden waren – allesamt vom Hinrundentoremacher Juskowiak.
Kollege Otto Rehhagel nannte Reinkes „kapitalen Schnitzer“ sowie Ramzys Bewegung in die falsche Richtung beim 0:1 als unmittelbare Gründe für die Niederlage. Das grundsätzlichere Problem ist: Er kann beim Versuch der Wiederqualifikation für die Champions League seine Verletzten „nicht so auffangen, wie ich mir das vorgestellt habe“ – schon gar nicht, wenn der gesperrte Ausnahmespieler Marschall fehlt. Als Stürmer Rösler nach 20 Minuten weghumpelte, hatte er bloß noch Rische, schickte Buck zu Ratinho nach rechts, Ballack nach vorn und brachte sein Team aus der Balance. So richtig einlassen auf die Leistung eines Otto Normalverbrauchers wie Wolfsburg mag sich einer wie Rehhagel nicht. „Unsere Gedanken sind schon beim Spiel am Dienstag“, sagten Otto. Da kommt Bayern, das ist ja fast Champions League, also seine Klasse.
Der Aufstieg des VfL Wolfsburg begann im Oktober beim 1:1 auf dem Betzenberg. Damals stand Wolf kurz vor der Entlassung. Seither hat das Team in 18 Spielen 34 Punkte geholt. Der Erfolg ist bereits so etabliert, daß nach dem 0:0 unlängst gegen Dortmund von den beiden Lokalzeitungen eine Minikrise ausgerufen werden mußte. Krise? Die Mannschaft, sagt Wolf, habe sich „taktisch und spielerisch enorm weiterentwickelt“. Das heißt: Sie hält gerade auch zu Hause geduldig die defensive Grundordnung – selbst wenn das die Gegner inzwischen auch tun, weil sie um die Gefahr wissen. In so einer Situation, sagt Wolf, „muß man auch mal mit einem 0:0 zufrieden sein“.
Andersherum: Grade war Samstag das 2:0 gefallen, da randalierte er in der Coaching-Zone und donnerte ein Hütchen auf einen Ordner. Fünf Sekunden später entschuldigte er sich, „weil der jetzt eine Beule am Schienbein hat“. Und alles nur, weil ein Spieler seine Position nicht so gehalten hatte, „wie ich mir das vorstelle“.
Die große, spannende Frage ist also weniger eine vom häßlichen Entlein, sondern: Wie weit kommt man mit Systemfußball (1-2-4-1-2), der nicht eben unglaublich innovativ ist oder mit besonderen individuellen Qualitäten angereichert, sondern die Qualitätsbegriffe des Trainers („Kollektiv“ und „ehrliche Arbeit“) auszudrücken sucht? Bis Europa? „Es kann passieren“, sagt Charles Akonnor.
Zwar entspannt sich auch das Gesicht von Wolf, wenn der Blick das Blatt Papier hinuntergleitet, auf dem die Bundesligatabelle aufgelistet ist. Aber als er wieder aufblickt, sagt er bloß: „Mit dem Abstieg haben wir jetzt nichts mehr zu tun.“ Falls er jetzt kokettiert, dann verbirgt er es geschickt. Im Prinzip meint Wolfgang Wolf es vermutlich genauso, wie er es sagt.
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