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Apokalypse Whow!  ■ Von Martin Sonneborn

Den Auswüchsen vorfrühlingshafter Regenkälte entfliehen und einfach mal ins hochsommerliche Vietnam reisen! Diesen uralten Menschheitstraum erfüllten sich in den 60er Jahren Hunderttausende amerikanische Aussteiger, von denen nicht wenige gleich dauerhaft im Lande blieben.

Für einen so langfristigen Asien-Aufenthalt fehlte Herrn Krähe und mir indes die Zeit; aber da man munkelte, es gäbe eine intakte Kickerszene im Lande, war es für uns als Geschäftsführer im „Büro für Kicker und Dosenbier“ eigentlich eine verdammte Pflicht, unten am Mekongdelta mal gehörig nach dem Rechten zu sehen. Schließlich hatten wir seit dem aufsehenerregenden WM-Match gegen das Berliner Urgestein Nikolaus Erhart, welches seinerzeit sogar teilweise im ORB lief, national keine großen Erfolge mehr feiern können – auf sämtlichen anderen Kontinenten dagegen waren wir quasi so gut wie ungeschlagen; jedenfalls wenn man von drei unschönen Begegnungen im letzten September im Armenierviertel von Beirut absieht. Aber schließlich entsprach der schlecht geschmierte Kicker dort keineswegs internationalen Standards!

Da Herr Krähe diesmal das Büro hüten mußte, schloß ich mich allein einer buntgemischten Reisegruppe für einen 11-Tage-Kurztrip nach Vietnam an. Nach einem 12stündigen Flug wollte sich auf Hanoier Boden allerdings nicht so recht Turnierstimmung einstellen: 38 Grad im Schatten, sechs Stunden Zeitunterschied und asiatisches Getümmel allerorten; das würde ein schweres Auswärtsspiel werden! Zudem wollten die Vietnamesen offensichtlich meine Nerven testen. Während ich den Spielort suchte, präsentierte der einheimische Reiseführer tagelang bizarrste Ablenkungsmanöver: Ho-Chi-Minh-Denkmäler, tausendjährige Literaturtempel, das Ho-Chi-Minh-Museum, Caodisten-Kirchen, Ho Chi Minhs Wohnhaus, das Museum der Amerikanischen Kriegsverbrechen und das Ho-Chi-Minh-Mausoleum. Aber eben keinen Kicker! Lediglich einige Karambolage-Billards aus der Kolonialzeit, die aber für Europäer nur unter Schmerzen spielbar waren, weil die kurzen Vietnamesen offenbar direkt nach der Niederlage der Franzosen bei Dien Bien Phu die Tischbeine auf halber Höhe abgesägt haben.

Was, wenn es gar keinen bespielbaren Platz gab? Wie dann dem Steuerprüfer die horrenden Ausgaben dieser Geschäftsreise erklären? Die einheimischen Rikschafahrer wieherten zwar nach der pantomimischen Darstellung eines herausgespielten Mittelfeldtores stets freudig los, brachten mich aber bestenfalls vor die nächste Apotheke. War es ein Wunder, daß die Nerven am letzten Abend in Hanoi blank lagen? Daß ich die nächstbeste Spelunke ansteuerte und verzweifelt Reis- wie Schlangenschnaps kippte, bis ich doppelt sah? Und zwar einen Kicker im Hinterzimmer? Solide und normal hoch, gut gepflegtes Turniergerät?

Bleibt zu erwähnen, daß die alte These, nach dem zweiten und dem vierten Liter laufe man zu Höchstform auf, für Dosenbier gilt. Aber nicht für Reisschnaps. Der vietnamesische Nationalspieler, von dem ich nur noch weiß, daß er schwarze Haare hatte, und zwar in ca. 1,50 Meter Höhe, spielte ein technisch sauberes 6 : 2 heraus! Müssen wir wohl auf den afrikanischen Kontinent demnächst ...

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