: Abschiedsfahrt im Kofferraum
Der Tischtennis-Bundesliga der Frauen geht das Geld aus. Neuestes Opfer: Rotweiß Erding war eben noch Europapokalsiegerin, jetzt ist der Klub finanziell am Ende und steigt ab ■ Von Thomas Becker
Erding (taz) – Der Pokal kommt spät. Als Klubchef Wolfgang Hirth die Trophäe am Spielfeldrand aufstellt und das glänzende Silber noch mal sorgfältig poliert, läuft das Spiel bereits, und die Spielerinnen haben keinen Blick für den Pott. Sie kennen ihn ja auch schon ganz gut. Dreimal hat Rotweiß Klettham den ETTU-Pokal gewonnen, den Uefa-Cup im Tischtennis. Doch davon sind sie nun weit entfernt: Beim 5:5 gegen TuS Bad Driburg verabschiedete sich der Klub am Sonntag als Tabellenvorletzter (6:30 Punkte) in die zweite Liga.
Es sei denn, sagt Hirth, ein anderes Bundesligateam zieht zurück. Weil das Geld nicht reicht. Klettham fing deswegen gar nicht erst an, seinen europäischen Titel zu verteidigen. „Die Auswärtsspiele“, stöhnt Hirth. „Moskau, Rumänien, Ukraine: Der Europapokal kostet bis ins Finale rund 40.000 Mark. Und dann verlangt der Verband für die Endspielteilnahme noch 500 Mark, wo andere Millionen scheffeln.“
Nicht nur in Klettham, einem Ortsteil der Kleinstadt Erding bei München, fehlt es an den Finanzen. Unlängst verschwand Meister TSG Dülmen mit einem Schlag von der Tischtennis-Landkarte. Fast alle Teams der stärksten Liga der Welt kämpfen ums finanzielle Überleben. Der Grund: Es will sie keiner sehen.
553 Zuschauer haben in der vergangenen Saison zehn Mark Eintritt gezahlt, um Kletthams Weltmeisterinnen und Olympiasiegerinnen zu sehen – alle neun Heimspiele zusammengerechnet. Beim Europacupfinale waren 70 da, inklusive Angehörige. Im erfolgreichsten Jahr der Vereinsgeschichte – in der Liga wurde Rotweiß Zweiter – sanken die Zuschauerzahlen. Im Jahr davor waren immerhin 1.400 gekommen. Konkurrent SV Winterwerb ist mit 2.200 Besuchern pro Jahr der mit Abstand beliebteste Verein. Das Fernsehen ist ein seltener Gast; die Männer-Bundesliga zahlt sogar für Übertragungen: Das DSF bekommt 600.000 Mark im Jahr.
23 Firmen unterstützen Klettham derzeit, doch über dreistellige Beträge geht das Engagement oft nicht hinaus. Über Etat und Gehälter schweigt sich die Vereinsführung aus. Reichtümer sind aber nicht zu verdienen. Von 1.000 Mark für die beiden Spielerinnen aus Ruland und Bulgarien, die die zwei abgewanderten Chinesinnen nie ersetzen konnten, ist die Rede. Sehr bescheiden wohnen sie im Schwesternheim des Krankenhauses. Für Conny Faltermair (28), die Nummer zwei, ist das Profileben nach sechs Jahren in Donauwörth und Steinhagen vorbei. Als die Erdingerin vor ein paar Jahren zu ihrem Heimatverein zurückkehrte, begann sie eine Lehre bei der Stadt. Dort hat sie nun eine 38-Stunden-Woche.
Daß es immer weniger sind, die ihr zusehen, wurmt Faltermair. „Beim Tischtennis ist halt nicht so viel Action. Manche Leute sehen es lieber, wenn richtig gekämpft wird. Bei uns muß man ruhig sein.“ Wie wahr. So still ist es beim letzten Spiel, daß nur das Klacken des Zelluloidballs auf der Holzplatte und das Quietschen der Turnschuhe zu hören ist.
Nur wenn die impulsive Faltermair an der Platte steht, steigt die Stimmung. Immerhin gewinnt sie ihre letzte Partie nach 13 Jahren Bundesliga. Wie es nun weitergeht, weiß sie auch nicht. „Vor Beginn dieser Saison wußten wir auch noch nicht, wie die Mannschaft aussieht. Aber ich wollte nicht, daß alles zusammenfällt, wenn einer aufhört.“ Sie meint Willi Steininger, den Abteilungsleiter, Jugendtrainer, Semmelverkäufer, Chauffeur, Plakatkleber, Kassenwart, Kloputzer, Coach, Sponsorenaquisiteur, Pressewart und Verwaltungschef in Personalunion. 1962 hatte er die Abteilung gegründet; damals zog man noch mit der Platte auf der Schubkarre ins Wirtshaus.
„Es ist egal, was ich mache, die Leute interessiert das sowieso nicht“, sagte Steininger, als er deprimiert und ausgebrannt aufgab – nach 36 Jahren, zehn davon in der Bundesliga. Heute will Steininger (60) „mit der Sache nichts mehr zu tun haben“. Aus dem Verein ist er ausgetreten, seit einem Jahr war er nicht mehr in „seiner“ Halle.
Der neue Abteilungsleiter nahm den Posten nur unter der Bedingung an, daß er sich nicht um das Bundesligateam kümmern müsse. Nach dem Abstieg hat er also wieder mehr Arbeit. Eine Sorge ist er dafür schon mal los: den viel zu großen Europapokal. Das gute Stück, das nicht mehr in die Trophäensammlung im Vereinsheim hineinpaßte und daher Faltermairs Wohnung zierte, wird am Wochenende beim ETTU-Finale in Uerdingen gebraucht. Und da Bad Driburgs Spielerin Imamura Ildiko in Uerdingen wohnt, landete der Pokal in ein Handtuch eingewickelt im Kofferraum ihres Autos. „Sonst müssen wir den noch mit Kurierdienst verschicken“, erklärt Präsident Hirth. Sparen hat man in Erding gelernt.
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