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Das Schweigen der Journalisten

Die bislang oppositionelle Belgrader Zeitung „Vreme“ ist auf Kriegskurs eingeschwenkt. Kosovaren und ihre Vertreibung kommen in Berichten nicht mehr vor. Auch kritische Kolumnisten sucht man im Blatt vergeblich  ■ Von Karl Gersuny

Im Krieg gibt es Kriegszeitungen. Muß das so sein? Zumindest die Redaktion der oppositionellen Belgrader Zeitung Vreme (Die Zeit) glaubt, während der Nato- Luftangriffe auf Jugoslawien müsse auch sie umstellen: von einem kritischen Wochenblatt von etwa 60 Seiten Umfang hin zu einem Pamphlet mit 8 bis 16 Seiten zweimal wöchentlich.

Die ersten fünf Versuche sind, gelinde gesagt, mißlungen. Die gleiche Vreme, die die Vertreibungen albanischer Zivilisten aus dem Kosovo in den vergangenen Monaten kritisierte, verliert nun kein Wort mehr über das unmenschliche Vorgehen der serbischen Soldateska. Schlimmer noch: In der Kriegs-Vreme kommen die Albaner gar nicht mehr vor. Kein Text, ja nicht einmal ein einziges Foto über die unendlich langen Flüchtlingskarawanen im Kosovo.

Dabei sind Vreme-Reporter vor Ort. Thematisch unterscheidet sich zum Beispiel die jüngste Ausgabe der Kriegs-Vreme (Nr. 5 vom 10.4. 99) in nichts von den regimetreuen Zeitungen Belgrads. Nur im Unterschied zur Staatspropaganda versuchen die Journalisten die „satanische Aggression“ der Nato in einer etwas objektiveren Sprache zu beschreiben. Dabei bleibt auch hier der Beigeschmack: Entweder war es die Zensur oder die Selbstzensur, die an den Texten Hand anlegte.

Schon die Überschriften sprechen für sich: „Die Europäer als Statisten der Amerikaner“, „Tod und Lügen der Nato“, „Was möchte die Nato – Die Fortsetzung historischer Dummheit“ oder „Rußland – ein Land ohne Vorurteile gegenüber Belgrad“. In den Texten überwiegt ein einziges großes Lammentieren und Jammern über die Nato-Staaten, welche das serbische Volk nicht verstehen wollen und statt dessen „Kindergärten, Schulen, Altenheime in Schutt und Asche bomben“. In einer Reportage über die Kosovo- Provinzhauptstadt Priština erfährt man nur so nebenbei, daß dort auch Albaner leben. „Aber deren Häuser sind nicht systematisch zerstört, wie westliche Fernsehanstalten behaupten, es gibt auch keine Anzeichen von Kämpfen oder von Vertreibungen, auch wenn viele Häuser leerstehen“, lesen wir, wobei der Reporter, wohl aus gutem Grund, nicht mit seinem Namen gezeichnet hat, wie eigentlich bei Vreme üblich.

Bilder von Albanern zeigt man natürlich auch nicht, dafür aber ein Foto, auf dem angeblich leere Hülsen von Nato-Kassettenbomben zu sehen sind. Auch Drohung an die Adresse der Nato werden nicht ausgelassen. „Sollen sie doch kommen, die Amerikaner, sollen sie doch einmarschieren, das wird sie mehr schmerzen als seinerzeit in Vietnam“, zitiert Vreme Radovan Urosević, einen serbischen Stadtfunkionär aus Priština.

Andere Fakten, die in den Texten durchschimmern, stammen allesamt von der regimetreuen Nachrichtenagentur Tanjug. Wohl keine einzige westliche Agenturmeldung oder Informationen eines westlichen Rundfunksenders wurden in die Berichterstattung eingebaut. Erstmals übernimmt die Kriegs-Vreme, was sie in Friedenszeiten stets ablehnte: eine christliche Osterbetrachtung eines orthodoxen Popen.

Dem fällt auch nichts Besseres ein, als über den großen mittelalterlichen Feldherrn Lazar zu palavern, der einst gegen den Türkensturm gekämpft habe. Jeder Serbe versteht, daß auf der Seite der Türken damals eben auch die heute wieder verhaßten Albaner kämpften. Bezeichnend ist jedoch, daß vor allem die Edelfedern, die Vreme das Profil eines kritischen Wochenblattes gaben, nicht mehr in den Kriegsausgaben vorkommen.

Da fehlen etwa der Starkolumnist Stojan Cerović oder der Militärexperte Milos Vasić. Schade jedoch, daß sich der wohl bekannteste Rockmusik-Kritiker Ex-Jugoslawiens, Petar Janjatović, für einen Bericht über die nächtlichen Rockkonzerte gegen die Nato-Bomben auf Belgrads Straßen einspannen läßt.

Die wichtigste Frage, weshalb Vreme eine Kriegsausgabe herausbringt, wenn darin nichts anders steht als in den übrigen serbischen Blättern, wird von den Journalisten nicht beantwortet.

Daß sie jedoch innerhalb der Redaktion gestellt wird, bringt Cerović, der auch als Kommentator für den französischen Rundfunk arbeitet, auf den Punkt: „Es gibt für jeden Journalisten nur noch zwei Möglichkeiten: Entweder er plappert nach, was das Volk hören will, das Slobodan Milošević nun wieder als den großen Widerständler gegen die äußere Bedrohung verehrt, oder er zieht sich in die innere Emigration zurück. Ich habe mich für den Rückzug entschieden.“

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