: Luftkrieg über Belgrad
Die Attacken der Nato und die Gegenwehr der jugoslawischen Armee werden heftiger. In Belgrad verfluchen die Menschen die Nato, flüchten sich in die Keller oder beobachten fasziniert die nächtlichen Luftangriffe. Die Bomber zielen auf die Infrastruktur des Landes, doch die Armee hat für Jahre vorgesorgt. ■ Aus Belgrad Andrej Ivanji
Wie üblich heulen die Sirenen in Belgrad kurz nach 20 Uhr auf. Besorgt schaut die 50jährige Lehrerin Nada Milic durch das Fenster: „Der Himmel hat sich aufgekärt. Heute sind wir dran!“ Seit Tagen bleibt sie während des Fliegeralarms in ihrer Wohnung, doch in der Nacht von Montag auf Dienstag geht sie mit ihren zwei Enkelkindern in den Luftschutzbunker.
Bald hört man das tiefe Dröhnen der Nato-Kampfflugzeuge. Dann die ersten dumpfen Detonationen. Nervös knattert die jugoslawische Flak, dazwischen hört man ab und zu das Donnern der schweren Artillerie und das Dröhnen der Raketensysteme. Ein richtiges Feuerwerk über der Stadt: Kleine, grelle Lichtkugeln zischen von der Erde in den Himmel. Rote und grüne Punkte flitzen kreuz und quer durch die Nacht. Es ist die heftigste Reaktion der jugoslawischen Flugabwehr seit dem Beginn des Krieges. Eine richtige Luftschlacht über Belgrad.
Die Menschen reagieren verschieden. Einige drehen die Musik auf, sie wollen nichts hören, nichts sehen. Manche werden beim ersten Ton der Sirenen blaß, zittern und rennen unter die Erde. Doch viele hängen am Fenster, stehen auf dem Balkon oder steigen aufs Dach, wie etwa ein Dutzend Menschen auf einem Hochhaus im Zentrum Belgrads. „Das ist alles so unwirklich, daß ich einfach keine Angst spüren kann. Sieht doch wie ein Computerspiel aus, in dem die Marsmenschen die Erde angreifen“, sagt der 30jährige Milan. Ein heller, summender Ton unterbricht ihn. „Ein Marschflugkörper!“ schreit Milan fast glücklich auf. Sie fliegen nur 50 bis 100 Meter über der Erde, erklärt er. Angestrengt versucht er die Feuerkugel auf dem Himmel zu entdecken. Tatsächlich donnert die Flak plötzlich intensiver.
Auf dem Dach herrscht eine Stimmung, wie auf einem lokalen Fußballderby. „Gebt's den Schweinen!“ feuert eine Frau die jugoslawische Flugabwehr an. Alle schimpfen auf die Nato, verfluchen Amerika und Europa. Man freut sich über die heftige Reaktion der Belgrader Flugabwehr, die sich bisher zurückgehalten hat. Der jugoslawische Generalstab setzt die teuren Radar- und Raketensysteme nur zögernd ein, die, wenn sie einmal aktiviert sind, von Nato-Kampfjets angepeilt und zerstört werden können. Militärexperten schätzen, daß die jugoslawische Flugabwehr bisher nicht einmal 30 Prozent ihrer Kapazitäten eingesetzt hat. In Belgrad wird in den nächsten Tagen eine Eskalation der Nato-Angriffe erwartet. Dienstag morgen kann man aus den serbischen Medien nur wenig erfahren. Eine Kaserne in Belgrad sei getroffen worden, heißt es, die jugoslawische Flak hätte den Luftangriff abgewehrt. Die Bilder eines zerstörten Personenzuges erschüttern Serbien. Am Montag soll die Nato den Zug nach Griechenland getroffen haben. Zehn Menschen hätten ihr Leben verloren, darunter ein zehnjähriges Kind.
Die Zahl der zivilen Opfer in Jugoslawien wird täglich größer. Einheimische Militärs behaupten, der Grund dafür sei auch das Scheitern der Nato-Pläne, die jugoslawische Armee schnell auszuschalten. Deshalb solle nun die Wirtschaft des Landes systematisch zerstört werden. Damit werde die Zivilbevölkerung bedroht und so langfristig Jugoslawien und indirekt auch die Armee geschwächt.
Die Nato zerstört systematisch alle Erdöl- und Benzinvorräte, Tankstellen, Raffinerien und Heizwerke, um die jugoslawische Kriegsmaschinerie zu lähmen. Darunter wird in absehbarer Zeit die Versorgung von Großstädten leiden. Höchst unwahrscheinlich ist es jedoch, daß diese Taktik die jugoslawische Armee aufhalten kann, die sich jahrzehntelang für einen Atomkrieg mit der UdSSR vorbereitet hat. Mit Vorräten an Treibstoff, Munition und Nahrungsmitteln in unterirdischen Atombunkern kann die Armee wahrscheinlich noch jahrelang Widerstand leisten. Zumal Belgrad mit der offenen militärischen Unterstützung Rußlands und Weißrußlands rechnet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen