: Klavier ohne Tasten
Ob „hundertsaitige Laute“ oder chinesische Schmetterlingsharfe: Das Hackbrett hat viele Identitäten ■ Von Christoph Wagner
Schmetterlingsharfe wird es in China genannt, weil sein trapezförmiger Korpus einem Schmetterling gleicht und seine Töne in die Luft davonzufliegen scheinen. Im deutschsprachigen Raum ist ein eher martialischer Name gebräuchlich: Hackbrett. Kein grobschlächtiges Metzgerwerkzeug, sondern ein Musikinstrument, dessen Dutzende von Saiten mit filz- oder lederbelegten Holzklöppeln angeschlagen werden.
Befreiung des Bretts aus der Isolation
Lange Zeit war der delikate Klangerzeuger mit einem Tonumfang von drei bis vier Oktaven kaum mehr als das gutgehütete Geheimnis der traditionellen Volksmusikpflege. Doch das hat sich inzwischen geändert, das neuerwachte Interesse an „Weltmusik“ befreite das Hackbrett aus der Isolation. „Im Prinzip ist das Hackbrett nichts anderes als ein Klavier ohne Tasten“, meint Rudi Zapf. Zapf muß es wissen, hat er doch das Saiteninstrument in Deutschland fast im Alleingang wieder bekannt gemacht und vom Soloauftritt bis zum Orchester mit tausend Saiten in allen nur erdenklichen Kombinationen erprobt. Als Organisator des Internationalen Hackbrettfestivals hat er darüber hinaus den Gesichtskreis für die globale Dimension des Instruments geweitet: „Die Bayern glaubten ja, sie hätten das Hackbrett erfunden.“
Neuerdings spielt Zapf neben seinem modernen elektro-akustischen Pedalhackbrett, das eigens für ihn konstruiert wurde, auch das Santur, den persischen Urtyp des ganzen Instrumentenzweigs. Denn wer sich mit dem Instrument beschäftigt, wird früher oder später im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris landen. Dort soll das Instrument in altbiblischer Zeit entstanden sein, und daraus erklärt sich sein hoher Rang, den es bis heute in der persischen und irakischen Kunstmusik genießt. Mit den maurischen Invasoren kam das Santur ins mittelalterliche Spanien, wo am Torbogen der Pforte der Kathedrale von Santiago de Compostela eine der frühesten Darstellungen eines Hackbretts in Europa aus dem Jahr 1184 in Stein gehauen ist. Dazu brachten Zigeuner das Instrument über Osteuropa und den Balkan bis in die Alpen. Dem Bürgertum war das Instrument zu vulgär: In seinem Werk „Syntagma Musicum“ rechnet es der Musiktheoretiker Michael Praetorius im 17. Jahrhundert den „Lumpeninstrumenten“ zu. Erst im Barock erlebte es eine kurze Blüte.
Ein ungarischer Spitzenklöppler
In Ungarn ist diese klassische Tradition des Hackbrettspiels ungebrochen. Für das Quasinationalsymbol haben Komponisten wie Béla Bartók, Franz Liszt oder Zoltán Kodály geschrieben, darüber hinaus sorgen zahlreiche Zigeunerkapellen für öffentliche Präsenz. Als ungarischer Spitzenklöppler hat sich Kalman Balogh eine internationale Reputation erworben, seine Schlagtechnik grenzt an Zauberei. Neben vielen anderen Aktivitäten ist Kalman Balogh in Joel Rubins Jewish Music Ensemble involviert, was einer alten Gepflogenheit folgt. Schon immer gab es gemeinsame Kapellen von Zigeunermusikanten und jüdischen Klezmorim, unter denen sich das „Tsimbl“ ab dem 16. Jahrhundert großer Beliebtheit erfreute. Heute ist der amerikanische Klezmer-Musiker Joshua Horowitz von der Gruppe Budowitz der einzige jüdische Hackbrettspieler, der die alte „Schlappsaiten“-Tradition weiterführt.
Daß das Hackbrett nach Asien gelangte, ist den Karawanenwegen der Seidenstraße zu verdanken. Mit Wandermusikanten kam es von Bagdad über Samarkand nach Usbekistan, von dort in die Mongolei, bis nach Tibet und Korea. In China hielt das Instrument im 18. Jahrhundert Einzug, wo es den Namen „Yang-tjin“ – fremde Zither – erhielt, und um die gleiche Zeit tauchte es in Kaschmir auf, dem nördlichsten Bundesstaat von Indien. Unter der Bezeichnung „Shatatantri Vina“ – hundertsaitige Laute – wurde es in der Volksmusik der Sufis heimisch.
Der Virtuose Shiv Kumar Sharma, Jahrgang 1938, hat seit Mitte der 50er Jahre das Instrument „niedriger“ Herkunft in die klassische indische Musik eingeführt, allerdings gegen massiven Widerstand. Raga-Puristen kritisierten, daß gewisse Gleitbewegungungen zwischen den Tönen auf dem „Santoor“ nicht angemessen ausgeführt werden können. Sharma nahm die Einwände ernst. Er modifizierte sein Instrument und fügte Extrasaiten hinzu. Seine wunderbare Improvisationskunst hat mittlerweile selbst die schärfsten Kritiker überzeugt. Zusammen mit seinem Sohn und Schüler Rahul Sharma bringt er auf dem neuesten Album mehr als zweihundert Saiten zum Klingen. Die Ragas entwickeln sich dort in Form eines Dialogs und steigern sich von meditativer Ruhe bis zu ekstatischer Dichte. Für die indische Musik stellen solche instrumentalen Zwiegespräche keine Neuheit dar, für das Hackbrettspiel schon.
Von seinem Vater, der in Kaschmir als Hofmusiker tätig war, hat Shiv Kumar Sharma seit seinem fünften Lebensjahr Musikunterricht erhalten. Ebenso bereitwillig gibt er nun sein Wissen an die nächste Musikergeneration weiter. Neben seinem Sohn Rahul ist Satish Vyas sein talentiertester Schüler, der längst eine eigene internationale Konzertkarriere verfolgt.
Damit ist sichergestellt, daß das Hackbrett so schnell nicht wieder von der Bildfläche verschwinden wird – weder in Indien, noch anderswo. Heute, 19.30 Uhr: Konzert mit Pandit Shiv Kumar Sharma im Museum für Völkerkunde, Berlin 8. Mai 1999: 20 Jahre Rudi Zapf, Circus-Krone-Bau, –München 12. bis 14. Nov. 99: Internationales Hackbrettfestival, Circus-Krone- Bau, München. Info-Tel. 0 81 21-7 95 60 Tonträger: Zapf & Neumann: „Weggefährten“ (Pantaleon PTR 10071) Rudi Zapf & Evelyn Huber: „Löwenzahn“ (Pantaleon 10070) Pandit Shiv Kumar Sharma: „Sampradaya“ (Real World CDRW75) Satish Vyas: „Cascade“ (Navras 0103 DDD)
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